„Die Generäle wollen keine Demokratie“

■ Der Chef der „Front der Sozialistischen Kräfte“ hofft auf neue Politik des Westens

taz: Sie nennen die Wahlen immer wieder ein „surrealistisches Spektakel“ oder eine „makabre Maskerade“.

Hocine Ait Ahmed: Es ist absurd, mitten in einem Bürgerkrieg Wahlen anzusetzen. Die Massaker in Algerien gehen weiter, Dutzende Menschen wurden während des Wahlkampfes enthauptet, Autobomben säten den Terror in den Städten. Terror, der zum einen im Namen Gottes und zum anderen im Namen des Staates verübt wird. Solange Algerien nicht zum Frieden zurückfindet, sind wirklich freie Wahlen nicht möglich. Und freie Wahlen wollen die Machthaber nicht. Sie brauchen die Gewalt, um die Weltöffentlichkeit zu überzeugen, daß Algerien ein Land ist, das in einer extremen Situation lebt, und deshalb die normalen demokratischen Spielregeln nicht angewandt werden können.

Glauben Sie an die Möglichkeit eines Friedensprozesses?

Dazu müßte die internationale Szene dem Regime erst einmal die Unterstützung entziehen. Sobald zum Beispiel Frankreich aufhört, jedwede Friedensinitiative, jeden Ansatz internationaler Solidarität, jede Informationskampagne über massive Menschenrechtsverletzungen sofort zu blockieren, glaube ich, daß das algerische Regime nicht mehr länger jeden Versuch einer politischen Lösung einfach abwürgen könnte. Die westlichen Länder schauen in Algerien zur Seite. Ich hoffe, daß der Regierungswechsel in Frankreich jetzt etwas in Bewegung bringt.

Die Generäle behaupten immer wieder, daß die Ideen der FIS unvereinbar mit einem politischen, demokratischen Friedensprozeß seien.

Die FIS hat eine Unmenge von Beweisen für ihre Verhandlungsbereitschaft geliefert: Seit Monaten verurteilt die Auslandsleitung jedes Attentat radikaler islamistischer Gruppen gegen Zivilisten, sie verurteilt die Anschläge gegen Ausländer und im Ausland. Den letzten Beweis lieferte die FIS vor wenigen Tagen, als sie in einem fünfseitigen Strategiepapier Präsident Zéroual zu Verhandlungen aufforderte. Viel besorgniserregender als die FIS ist für mich die MSP. Diese sogenannten gemäßigten Islamisten nehmen bereits an der Macht teil. Ihr Parteiführer Mahfud Nahnah gehörte den ersten bewaffneten Islamischen Kommandos an, die noch unter dem Einparteiensystem in der Region von Blida, südlich der Hauptstadt, Anschläge verübten. Er arbeitet mit der ökonomisch-politischen Mafia, die sich an der Krise des Landes bereichert, zusammen, und verfolgt die Strategie, den Staatsapparat zu infiltrieren. Mit der MSP, die von den Generälen zur Schwächung der FIS geduldet und gefördert wird, steuert das Land auf eine Situation wie im Sudan zu – eine undemokratische, unkontrollierbare Verschmelzung der Interessen des Militärs und der Islamisten. Die Generäle wollen keine Demokratie, sondern einen islamischen Nationalautoritarismus.