Ein Obdach für die Utopie

■ Albert Ostermaier schreibt Stücke über Toller und Brecht. Politische Haltungen und künstlerische Kompromißlosigkeit findet er nicht altmodisch. Ein Gespräch

taz: Herr Ostermaier, Ihr erstes Stück heißt „Tollertopographie“, zur Zeit schreiben Sie für das Münchner Staatsschauspiel ein Stück über Brecht. Was fasziniert Sie als Jungautor an diesen Figuren? Geht es darum, das Scheitern von Utopien vorzuführen?

Albert Ostermaier: Mich interessiert eher, wie man in dieser allseits proklamierten utopischen Obdachlosigkeit wieder Literatur und Politik unter ein Dach bringen kann, ohne gleich neue ideologische Gebäude zu errichten. Man erklärt Brecht und Toller zwar für tot, ihre ästhetischen und gesellschaftlichen Fragestellungen, wie in bezug auf die Personalisierung von Politik, sind aber überaus aktuell. Toller etwa hat sich als charismatische Figur verstanden, die Chancen der Massenkommunikation genutzt und an den durch Erkenntnis veränderbaren Menschen geglaubt. Im Gegensatz zu seinen Gegnern, Hitler und Goebbels, die die niedersten Triebstrukturen mobilisierten, ist er allerdings gescheitert. Darüber, daß sie das gleiche Instrumentarium benutzten, lohnt es sich nachzudenken.

Wie könnten sich Literatur und Politik denn unter ein Dach bringen lassen?

Wir tun heute so, als seien wir ohnmächtig und als sei jede Art von politischer Artikulation und Handeln überflüssig. Um Haltung zu ringen gilt geradezu als altmodisch. Mir, der ich in einer völlig apolitischen Zeit aufgewachsen bin, fällt in diesem Zusammenhang auf, daß selbst Teile der ehemaligen 68er inzwischen gewinnbringend ins System integriert wurden und dort die deutschen Tugenden Machtwillen, Durchsetzungskraft und Disziplin unter Beweis gestellt haben. Da muß ich mich natürlich fragen, wie schnell es gehen kann, daß man gekauft ist, und für wen – außer für sich selbst – man schreibt und warum ein Autor wie Toller mit allen Konsequenzen unabhängig geblieben ist.

Ihrer Generation, den sogenannten 89ern, wird attestiert, sie wolle lediglich an die Fleischtöpfe, dort aber nichts mehr bewirken. Wie sehen Sie das?

Für mich war mein Jahr der Hausautorenschaft am Mannheimer Theater eine entscheidende und glückliche Erfahrung. Ich lernte Theatermechanismen kennen und erfuhr, welche Möglichkeiten man überhaupt hat und was man gegen die Erwartungen des Theaters behaupten kann. Es verlangt von der Gegenwartsdramatik, daß sie so funktioniert, wie man das eben gewohnt ist. Schreibt man anders, kommt sofort der Vorwurf der Unspielbarkeit, der für mich einer Kapitulation gleichkommt. Stücke müssen doch zuerst einmal auf ihre Wahrheit und ihre Sprache hin überprüft werden, dann sollte man sich überlegen, mit welcher Form man an welches Stück rangeht. Da müßte das Theater viel innovativer werden.

Was hindert die Theater, etwas zu wagen?

Ich glaube, daß es eine große und verständliche Angst ist. Ein System, das lange funktioniert und eine Sicherheit der künstlerischen Arbeit garantiert hat, könnte zusammenbrechen. Da will man nur noch auf Teufel komm raus die Häuser vollbekommen. In dieser Situation muß ich als Autor erst recht kompromißlos sein und darf auf keinen Fall mit Kalkül vorgehen: Aha, am Theater wirken diese und jene Mechanismen, die bediene ich jetzt. Ich schätze Theater, in denen ich, falls man sich für mich entscheidet, mit Regisseur und Dramaturg an meinem Text arbeiten und ihn überprüfen kann.

Apropos Kalkül. Beschäftigen Sie sich auch deshalb jetzt mit Brecht, weil der im Gegensatz zu Toller das Modell des kalkulierenden Schriftstellers verkörpert?

Das spielt mit. Brecht wußte ja im Gegensatz zu Toller genau um die Wirkungsmöglichkeiten von Literatur und daß er nur dann eingreifen kann, wenn er ein bestimmtes ästhetisches Niveau erreicht. Toller war Politiker, Brecht ein Schriftsteller, der es auch sehr schnell verstand, sich als Kunstprodukt zu etablieren. Das ist allerdings nicht alles. Ich beschäftige mich auch deshalb mit Brecht, weil man heute meint, ihn überholt zu haben. Angeblich sind die Wirklichkeiten ja überwunden, die er verhandelte. Das ist Unsinn. Sobald die ökonomische Prosperitätsfassade zusammenbricht, schimmern doch wieder genau die Wirklichkeiten durch, die er beschrieben hat.

Warum dann ausgerechnet ein Stück über ihn zu seinem 100. Geburtstag? Setzen Sie sich da nicht dem Verdacht aus, lediglich bei den üblichen Jubiläumsspielen mit dabeizusein?

Ich hoffe, diesen Verdacht schon dadurch widerlegen zu können, daß man Brecht als Figur in meinem Stück vergeblich suchen wird. Eben weil er ein für mich so zentraler Autor ist. Deshalb habe ich mich entschlossen, ein Gegenwartsstück zu schreiben, das sich mit dem jungen, anarchischen Brecht auseinandersetzt, der wußte, was es hieß, im „Dickicht der Städte“ zu leben, um am Ende festzustellen: „Das Chaos ist aufgebraucht, es waren die besten Jahre.“ Da stellt sich auch für mich die Frage: Was kommt danach? Interview: Jürgen Berger