Das Portrait
: Frankreichs neue Frau für neue Jobs

■ Martine Aubry

Martine Aubry? Der Name löst bei Gewerkschaftern zwiespältige Gefühle aus. Wie die meisten Franzosen beschreiben sie die sozialistische Ministerin für Beschäftigung und Solidarität, die seit gestern das wichtigste Ressort der neuen Pariser Regierung in Händen hält, als „kompetent“, „intelligent“ und „brillant“. Zugleich erinnern sie sich an ihre erste Amtszeit als Ministerin von 1991 bis 1993, als die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes à la francaise ihren Anfang nahm. Aubry I verschärfte die Sanktionen gegen Arbeitslose und „bereinigte“ so die Statistiken. Seither verliert seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer nicht sofort zum „Beratungsgespräch“ erscheint, es ablehnt, für bis zu 30 Prozent weniger Lohn zu arbeiten, keinen Teilzeitjob akzeptiert oder von drei potentiellen Patrons abgelehnt wird.

Nachdem die Sozialistische Partei 1993 bei den Wahlen eine schwere Niederlage erlitt, übte Aubry Selbstkritik. Es sei ein Fehler gewesen, nicht mehr für die Arbeitszeitverkürzung zu tun, anerkannte sie. In der Opposition blieb die Absolventin der Elite-Verwaltungsschule ENA die sozialdemokratische Expertin für Arbeitsmarktfragen schlechthin. Sie wurde Präsidentin von „Agir“, einer Stiftung gegen Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung; scharte Sozialdemokraten, Intellektuelle, Gewerkschafter und Unternehmer um sich; schrieb drei Bücher, wurde Vizebürgermeisterin von Lille und lehnte es 1995 ab, in die Führungsspitze der Partei zu gehen.

Seit die PS programmatisch geläutert aus dem Abseits zurückgekehrt ist, richten sich an die bald 47jährige Politikerin, die ihrem Vater Jacques Delors immer ähnlicher wird, höchste Erwartungen. Sie ist unter anderem zuständig für die Überarbeitung des Juppé-Plans zur Reform der Sozialversicherung, die 35-Stunden-Woche und für die Schaffung der 700.000 versprochenen Arbeitsplätze für Jugendliche.

Die Gewerkschafter wollen an die neue Aubry II glauben. Zugleich wissen sie, daß bei einer Übergangszeit von drei Jahren bis zur Einführung der 35-Stunden-Woche die Produktivität so steigen wird, daß keine neuen Arbeitsplätze herauskommen und die versprochenen Arbeitsplätze nur befristete Jobs sind. Vorsichtshalber wollen sie Aubry II deswegen genau auf die Finger schauen und notfalls „mobilisieren, demonstrieren und streiken“. Dorothea Hahn