Alte Dame als Skandalnudel

Hertha BSC hat eine lange Tradition: In den dreißiger Jahren galt der Fußballclub als Symbol der Weltstadt, zu Mauerzeiten als skandalträchtiges Biotop  ■ Von Jürgen Schulz

„Blau-weiße Hertha, du bist unser Sportverein.

Blau-weiße Hertha, du wirst es immer sein.“

(Vereinslied von Hertha BSC.)

Jürgen Röber legt die Stirn in Falten, wenn er an seinen Dienstantritt bei Hertha BSC im Januar 1996 denkt. „Dieser Verein war wie eine Krankheit, mit der niemand etwas zu tun haben wollte“, erzählt der Meistertrainer, der die „alte Dame“ nach sieben Jahren Zweitklassigkeit wieder in die Beletage des deutschen Fußballs geführt hat.

Der Klub, der 1892 auf einem blau-weißen Wannseedampfer namens „Hertha“ gegründet wurde, schien seine beste Zeit längst hinter sich zu haben. In der Weimarer Republik, als die Mannen um das Kickeridol Hanne Sobeck auf dem Sportplatz am Gesundbrunnen, der „Oper des kleinen Mannes“, zauberten und zwei deutsche Meistertitel gewannen (1930 und 1931), galten die Blau-Weißen als Symbol der pulsierenden Weltstadt an der Spree.

Nach 1945 jedoch sorgten die Herthaner, die sportlich nie mehr an die glorreichen Vorkriegszeiten anknüpfen konnten, permanent für negative Schlagzeilen. Keine Affäre, in die die Gesundbrunner nicht verwickelt gewesen wären. Die „alte Dame“ verkam zur Skandalnudel, die zur an Skandalen reichen Mauerstadt West-Berlin paßte wie die Faust aufs Auge.

Bereits 1963, bei Gründung der Bundesliga, sorgten die Herthaner für einen Affront. Mit geschönten Bilanzen erschlich man sich den Zugang zur neuen Eliteklasse, doch die schläfrigen Funktionäre des Deutschen Fußball-Bundes erkannten die Radierungen in den Geschäftsbüchern zu spät, so daß die Sache verjährte. Oder aber sie wollten partout nichts mitbekommen. Denn das Spree-Flaggschiff segelte – spätestens seit dem Mauerbau – unter einem günstigen deutschlandpolitischen Wind.

Zwar schimpften die Einwohner der Millionenstadt, genervt von der Mißwirtschaft der Vereinsfunktionäre, ständig über „ihren“ Klub, doch insgeheim verziehen sie ihm jeden Fehltritt. Hertha war und ist im wahrsten Sinne ein „Verein des Volkes“, ein Anker in einer bewegten Zeit, vergleichbar höchstens mit Schalke 04 im Ruhrgebiet.

Was immer auch geschieht: Hertha bleibt sich treu – im Guten wie im Bösen, darauf kann man sich verlassen. Und wenn es mit den Mauerkickern mal wieder bergauf ging, strömten die Massen ins Olympiastadion, als ob nichts gewesen wäre.

1965 war Hertha BSC wieder mal ganz unten. Gewiefte Vereinsmeier hatten – am Finanzamt vorbei – 55.000 „schwarze“ Eintrittskarten drucken lassen, um der Mannschaft illegale Gelder bezahlen zu können. Der Schatzmeister, ein Bestattungsunternehmer, stapelte die Tickets in Särgen. Die Sache flog auf, die Mannschaft wurde aus der Bundesliga verbannt.

Im November 1971 wurde die „alte Dame“ rückfällig. Im Bundesliga-Skandal hatte die Mannschaft ein wichtiges Spiel für 250.000 Mark an Arminia Bielefeld verkauft und das Ergebnis manipuliert. Wieder wurde Hertha BSC ins Amateurlager strafversetzt. Das Ende schien ganz nahe, zumal Berlins Liebling über sechs Millionen Mark Schulden drückten. Die Stadionkassen quollen bei Heimspielen über. Wie diese für damalige Verhältnisse unglaubliche Schuldensumme aufgehäuft werden konnte, war den Unbeteiligten deshalb ein Rätsel. Und die anderen schwiegen.

Zum Glück sprang der Senat ein, indem er den altehrwürdigen Hertha-Platz am Gesundbrunnen kurzerhand in Bauland umwidmete und 1974 für 6,2 Millionen Mark kaufte. Hertha war über Nacht schuldenfrei. Zwar war allen Beteiligten bewußt, daß es sich dabei um ein ganz windiges Geschäft handelte, doch so etwas war in der Bauwirtschaft der Mauerstadt seit jeher üblich. Wenn es um die Vorzeigekicker ging, mußte die Staatsräson erst recht strammstehen. „Hertha BSC ist ein Stück Lebensqualität“, titelte Springers Bild. Basta!

Die Herthaner, die Laubenpieper mit Olympiastadion, durften weiterwursteln. Obwohl die Kassenlage ständig in Schieflage war, verlagerten sich die Affären in den privaten Bereich. So verunglückte 1975 Vizepräsident Dr. Cassau mit seinem Auto tödlich, als er – nur mit einem Pyjama und 10.000 Mark Bargeld bekleidet – zu Präsident Klotz unterwegs war, der mit Cassaus Frau ein Verhältnis hatte. Es sollte noch schlimmer kommen: Trainerdenkmal Helmut „Fiffi“ Kronsbein, der angeblich eine geschlossene Flasche Wodka aus 100 Metern Entfernung wittern konnte, geriet in den 80er Jahren unter Mordverdacht, nachdem seine Frau in der Badewanne durch einen Fön zu Tode kam.

„Wird dir deine Frau zur Qual, erwürg' sie mit 'nem Hertha-Schal“, dichtete später ein Hertha-Fanartikelhändler. Ein Mißton, der gut zur Geschichte der „alten Dame“ paßt.