Das Schloß des Herrn Jedermann

Wenig Ideologie, viel Bauhandwerk: Das lockt den Kanzler. 1999 wird er im Staatsratsgebäude seinen Amtssitz beziehen. Eine Ausstellung rekonstruiert die Geschichte des Baus. Teil II der Serie „Hauptstadtdesign: 49/90“  ■ Von H. Wolfgang Hoffmann

Der Kanzler kommt. 1999 wird er seinen Amtssitz im ehemaligen Staatsratsgebäude beziehen. Bis der Neubau im Spreebogen fertig ist, werden der Kanzler und seine Gäste die Treppe vor der „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“, dem gebäudehohen Glasbild von Walter Womacka, emporschreiten.

Noch 1993 setzte die Bundesregierung das Haus ganz oben auf ihre Abrißliste. Ein Jahr später beschäftigte sie 1.105 Architekten aus aller Welt damit, im Spreeinsel-Wettbewerb städtebauliche Gründe für seine Beseitigung zu liefern. Der Bau erschien damals als das zentrale Symbol des DDR- Staates und für alle Zeiten ideologisch kontaminiert. Inzwischen ist für die Demokratie nicht einmal ein Umbau nötig. Renovierung genügt: Ein wenig Farbe und neue Telefone, sonst bleibt alles beim alten. Was also bedeutet dieses Haus wirklich? Hat es vielleicht selbst diesen Bedeutungswandel herbeigeführt? Antworten erlaubt eine Ausstellung, die anläßlich der Jahrestagung der Landesdenkmalpfleger Anfang dieser Woche eröffnet wurde. Das vom Berliner Büro Kroos & Marx zusammengetragene Material zeigt das zwischen 1962 und 1964 errichtete Gebäude vor allem als ein baukünstlerisches Meisterstück, das weniger eine Ideologie als vielmehr die Kontinuität deutscher Staatlichkeit repräsentiert, und das auf zeitgenössische Weise.

Eine Lesart, die am Eingang bestätigt wird. „1713/1963“ steht in der Giebelkartusche. Die Jahreszahlen verkünden: Das Staatsratsgebäude ist das Schloß! Dafür spricht schon seine Lage. Die Spreeinsel war seit der Errichtung der Zwingburg 1451 durch die Preußenkönige Keimzelle deutscher Staatlichkeit. Auch die DDR verließ, kaum daß die gröbsten Trümmer des Weltkriegs weggeräumt waren und sich die Republik – nicht zuletzt durch den Mauerbau – konsolidiert hatte, das Provisorium in Hohenschönhausen und kehrte auf die Spreeinsel zurück. Hier standen zwar noch die Überreste des Schlosses, doch waren sie seit der Revolution von 1918 verwaist. Wie die Weimarer Republik und das Dritte Reich hatte man keinen Bedarf an einer Kaiserwohnung mit mehr als tausend Zimmern. Doch während jene Staaten ihre höchsten Repräsentanzen in die Verwaltungsmagistrale Wilhelmstraße verlegten und das Schloß als Hülle ohne adäquaten Inhalt zurückließen, nahm man nun immerhin ein altes Bauteil und errichtete damit ein modernes Schloß. Auferstanden aus Ruinen...

Sein Grundbaustein war das zwischen 1703 und 1713 von Eosander von Göthe errichtete Portal IV des Lustgartenflügels, von dessen Balkon Karl Liebknecht am 9. November 1918 die „Freie sozialistische Republik Deutschland“ proklamiert hatte. Fehlende Teile wurden rekonstruiert, von der Ölfarbe befreit und nach einem städtebaulichen Plan von Joseph Kaiser und Heinz Mehlau an der Südseite des Platzes plaziert, genau in der Flucht des Marstalls.

Drumherum entwickelten Roland Korn und Hans-Erich Bogatzky einen Stahlskelettbau, der vom Schloß die Höhe (30 Meter), Fassadengliederung und funktionale Schichtung (unten Nebenräume, mittig Arbeitszimmer, oben Festsäle) übernahm. Zugleich war er so schlicht, daß der alte Baustein zum Edelstein des Neuen wurde. Solch flexibler Umgang war in der ruinengewöhnten Nachkriegszeit nicht ungewöhnlich. Nicht anders verfuhr man beim neuen Bauamt von Hannover. Selbst heute bei Sony's Kaisersaal ist es nicht viel anders.

Mit dem Einbau dieses Portals war die geschichtliche Kontinuität wiederhergestellt. Dafür steht auch die Ausgestaltung des Gebäudes: Ihr ging es weniger um Ideologie als um Repräsentation. Das lag schon an der Rolle des Bauherrn. Der Staatsrat war im Grunde machtlos. Regierungsarbeit war Sache des Ministerrats. Ihre Richtlinien bestimmte die Partei. Dem kollektiven Staatsoberhaupt oblag vor allem die Vertretung nach außen. Er empfing Staatsgäste und nahm die Akkreditierung der Diplomaten entgegen. Ideologie und Diplomatie aber vertragen sich nicht. Um dem jungen Staat Anerkennung zu verschaffen, mußte man sich daran orientieren, was seinerzeit international als repräsentativ galt.

Also baute man zeitgenössisch und vor allem großzügig: Fünf Meter breit und mit nur hauchdünnem gläsernen Geländer ist die mehr als 15 Meter freitragende Treppe eher eine emporgeleitete Straße; die Festhallen im zweiten Obergeschoß sind fast zehn Meter hoch, die Flure davor so breit wie Säle. Der Stil der Sixties verlangte klare, nüchterne, rechteckige Räume. Sie boten Platz für vieles, doch leer entfalteten sie ihre volle Würde. Die Möblierung war folglich sehr sparsam.

Die Innenarchitekten Hans- Erich Bogatzky und Bruno Hess konzentrierten ihre ganze Energie auf die Oberflächen. Neben dem für die sechziger Jahre typischen Exzeß an Farben und Mustern erfolgte die Auskleidung mit edlen Materialien. Während der Rest der Republik aus industriellen Massenprodukten montiert wurde, fertigten 150 Betriebe für diesen Sonderbau handwerkliche Einzelstücke: komplizierte Muster in Parkett- und Natursteinböden; spacige Lampen vom VEB Leuchtenbau Leipzig, Kacheln aus Meißner Porzellan verwandeln die Zugänge zu den Nebenräumen im Ergeschoß in Portale. Und selbst für die Toiletten entwarf man einen eigenen, aufwendig modernistischen Fußboden aus Kleinsteinmosaik.

Selbst die vier bauwerksgebundenen Kunstwerke geben sich weniger weltanschaulich, als man erwarten würde. Auf Heinz Brendels Porzellanfries im Bankettsaal zeigt sich das Leben auf naive Weise unpolitisch. Die Stahlätzwand im Sitzungssaal stammt von Fritz Kühn, einem Künstler, der zugleich mit der Ausgestaltung des Landtags von Hannover beschäftigt war. Die einzige Parole des Womacka-Bildes lautet: „Trotz alledem!“ Allein das Kleinsteinmosaik im Festsaal verweist auf die DDR. Das Emblem des Exstaates ist heute hinter Stoffbahnen verborgen. Doch solche Einsichten in die baukünstlerischen Qualitäten sowie die feinen Unterschiede zwischen Repräsentation und Ideologie erlaubte das Staatsratsgebäude bis zur Wende nicht. Selbst für die Bürger der DDR war das Haus zwar täglich in den Medien präsent, aber unzugänglich. Nicht einmal in der Fachpresse wurden Details veröffentlicht. So war der Abrißbeschluß weniger böse Bonner Absicht als Ergebnis mangelnder Anschauung.

Die Wende kam für das Gebäude 1993, als es für die Ausstellung des Spreebogen-Wettbewerbs erstmals für die Öffentlichkeit geöffnet wurde. Endlich fanden die Räume eine Bestimmung, die ihrer Großzügigkeit entsprach. Seither ist dieses Haus zentraler Diskussionsort der Stadtentwicklung. Im Ergeschoß reist der Menschenstrom um das Berlin-Modell nicht ab. Hier kommen Regierung und Bürger zusammen. Hier wird Berlin Hauptstadt. Die neue Nutzung führte rasch zu einer Neubewertung: Aus dem Symbol der DDR wurde das Geburtshaus der Berliner Republik. Dafür mochte sich selbst der Kanzler entscheiden.

Ironischerweise bedeutet dieser Erfolg langfristig für das Haus einen Rückschritt. Denn obwohl der Kanzler kaum ein Dutzend Räume in den beiden unteren Geschossen beziehen wird, ist es mit der Zugänglichkeit dann erst einmal vorbei. Und was nach dem Kanzler kommt, ist ungewiß. Dafür hat der jetzige Hausherr, der Umzugsbeauftragte der Bundesregierung, natürlich kein Konzept. Er wird dann, wenn die Hauptstadt aufgehört haben wird zu werden, ebensowenig gebraucht wie ein Haus, das der Öffentlichkeit dieses Werden vermittelt. Wetten, daß man dann an seine Privatisierung denkt? Dann wäre das Bauwerk wirklich das Schloß eines Herrn Jedermann.

Die Ausstellung ist bis auf weiteres täglich von 10 bis 19 Uhr im Staatsratsgebäude, Schloßplatz 1, Berlin- Mitte zu sehen

Teil III erscheint am 5. Juli: Ein Silo in der Dorotheenstadt