Eine Utopie mit Routine

18 Jahre Ufa-Fabrik: Die ehemalige Vorzeigekommune hat sich in ein alternatives Kulturzentrum gewandelt und ihre Ideale der Zeit angepaßt  ■ Von Jens Rübsam

Wenn Juppy (48) diesen Artikel schreiben müßte, er würde wahrscheinlich so anfangen: „In dieser Welt wurde eine Utopie erfolgreich verwirklicht.“ Wenn Walter (91) diese Zeilen schreiben müßte, er würde mit Sicherheit folgendermaßen beginnen: „Die Ufa-Fabrik ist heute ein Kulturzentrum. Mit einer Kommune hat sie nichts mehr zu tun.“

Juppy, vor 18 Jahren Mitbegründer der Ufa-Fabrik in Tempelhof, trägt eine schnieke schwarze Sonnenbrille, ein dunkelrot gefärbtes Hemd, weit aufgeknöpft, eine weiße Faltenhose, weiße Socken mit bunten Kringeln, schwarze Schuhe. Auf dem Tisch vor ihm liegt ein Schachtel Gauloises, blau, und ein Handy Gigaset 900, Marke Siemens. Er sitzt im Sommergarten des Ufa-Cafes Olé, hat die Beine lässig übereinandergeschlagen und beginnt seine Geschichte so: „In dieser Welt wurde eine Utopie erfolgreich verwirklicht.“ Juppy beginnt seine Geschichte und die der Ufa immer so. Leider.

Walter, mit 91 Jahren der älteste Ufa-Kommunarde, sitzt allein vor dem Fernseher im Nebenzimmer des Konferenzraumes, schaut Nachrichten, der Lautstärkeknopf ist am Anschlag. Wenig später beginnt er nachdenklich zu resümieren: „Die Ufa-Fabrik ist heute ein Kulturzentrum. Mit einer Kommune hat sie nichts mehr zu tun.“ Walter trägt ein altes Jacket und hat immer eine große Lupe bei sich. Seit 14 Jahren lebt er in der Ufa-Fabrik, immer noch gern, aber: „Es hat sich vieles verändert.“ Der Juppy. Der Konferenzraum. Das Kommuneleben. Das Ufa-Gelände an sich.

Der Konferenzraum ist gespenstisch aufgeräumt. Auf dem runden Tisch nur ein paar lose Zettel. Dahinter, an der gelben Tafel, das Ufa-Veranstaltungsprogramm von Mai bis Dezember. An der anderen Wand eingerahmte Fotos vom Um- und Ausbau des Geländes, von Aktivitäten. „Früher“, sagt Walter, „fand hier jede Woche ein Plenum statt.“ Heute nur noch sporadisch und meistens nur dann, wenn es um die Frage geht: Wird jemand aufgenommen in die Kommune oder nicht. „Wir sind 50 Leute hier“, sagt Juppy Joseph Becher. Andere sagen, es seien weniger, höchstens 20; die Kinder dazugerechnet 30. Das jüngste Ufa- Kind ist drei Monate alt und heißt Marie-Rosalie. Walter ist der älteste und hat ein paar Utopien weniger. Ein Altersheim wollte er aufbauen. Aber dafür fanden sich nicht genügend Senioren.

Gemeinsam arbeiten war der Anspruch der Kommunarden, gemeinsam bestimmen, gemeinsam wohnen, gemeinsam essen. Teilweise wurde diese Utopie zur Realität: Die Ufa ist nach 18 Jahren ein Wirtschaftsunternehmen mit 120 Angestellten und mit sechs Millionen Mark Umsatz jährlich. „So wie das Geld reinkommt, wird es wieder ausgegeben“, sagt Juppy. Die Kommunarden leben in kleinen Appartements und essen gemeinsam Mittag. „Das Frühstück macht sich jeder selber“, sagt Walter. Das Abendessen auch. Walter stellt die Sinnfrage: Was wollen wir eigentlich? Gemeinwohl oder Ellenbogengesellschaft? „Gemeinwohl“, schiebt er die Antwort nach.

Juppy redet auch 1997 von den Idealen aus dem Jahre 1979: Alternatives Leben, selbstbestimmtes Arbeiten, ökologisches Wohnen. Die Ufa-Fabrik ist längst nicht mehr die alternative Kommune. Die Ideale seien an die Zeit angepaßt worden, meint Juppy: „Wir haben einen Lernprozeß durchgemacht. Wir haben einen Erbpachtvertrag bis 2020. Wir leben nicht von heute auf morgen, sondern in einer Perspektive von 300 Jahren. Wir sind eine kleine Stadt in der großen Stadt.“ Wäre er gern der Bürgermeister? Nein. Wenn schon, dann Bundespräsident. Die Zeit, die er im Bürosessel verbringe, komme dem schon nahe.

Das grüne Gewissen – die Ufa- Leute haben dieses Ziel in all den Jahren verfolgt. Windkraftanlage. Blockheizkraftwerk. Regenwassernutzung. FCKW-freie Kühlanlage im Cafe Olé seit Juli vergangenen Jahres. Seitdem gibt es „umweltfreundlich“ gekühltes Bier und „köstliches“ Tofu-Eis. Im April wurde die größte Solaranlage Berlins eingeweiht: 500 Quadratmeter Solarkollektoren sollen jährlich 37.000 Kilowattstunden Strom produzieren und die Umwelt um 33.000 Kilogramm Kohlendioxid entlasten. Dazu noch ein Kinderbauernhof, eine Vollkornbäckerei, ein Naturkostladen. „Ökologisches Denken ist uns wichtig“, sagt Juppy. „Auf der anderen Seite aber auch, wie Menschen miteinander umgehen.“

Sie tun es noch, aber sie tun es anders. Als aus der Kommune ein Kulturzentrum wurde, wurde die Gemeinschaft in Individuen zersprengt, zusammengehalten von begrünten Dächern.

Vor dem Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum (NUSZ) sitzen Renate, Petra, Ursula und Ruth, alles Tempelhoferinnen, und blättern im Tauschring-Katalog. Das NUSZ ist seit zehn Jahren auf dem Ufa-Gelände zu Hause; das neueste Projekt ist der Tauschring. Kleider nähen gegen Hilfe im Haushalt, Ausfüllen der Steuererklärung gegen Kunstmalen, Fußreflexzonenmassage gegen Kinderbetreuung – es geht um Leistungen, aber auch darum, etwas gegen die Einsamkeit zu tun. „Früher bin ich durch Tempelhof gegangen, auch durch die Ufa-Fabrik, und keiner hat gegrüßt.“ Heute, sagt Petra, würden viele „Hallo Petra, wie geht's?“ rufen. Freilich, manchmal sei es schwierig, mit den Kommunarden in Kontakt zu kommen. Jedenfalls feiern sie heute gemeinsam. Die Ufa-Fabrik ihr 18jähriges, das NUSZ sein 10jähriges Bestehen, mit vielen TempelhoferInnen. Offen für alle – so der Anspruch der Ufa und der NUSZler.

Das Handy klingelt. Juppy geht ran, irgendwas ist immer zu organisieren. Walter sagt, Juppy sei noch immer der kreativeste Mensch, den er kenne. Ein bißchen chaotisch sei er auch. Aber Juppy weiß das am besten. Walter kümmert sich derweil um große Dinge. Im Kommujaheft, Ausgabe April, hat er in einem Leserbrief geschrieben: „Verbrennungsenergie ist ein Verbrechen.“ Seine Utopie: Nur noch Solarenergie. „Aber solange wir kapitalistische Verhältnisse haben, wird das nicht möglich sein.“