Die Maas ist voll

Für einen umweltverträglichen Tourismus: Die Naturfreunde Internationale hat die Maas zur „Landschaft des Jahres 1997/98“ erklärt  ■ Von Henk Raijer

Besser Leben mit der Maas“. So lautet das Motto der Naturfreunde Internationale (NFI), die Ende Mai im flämischen Dilsen-Stokkem die Maasregion mit einem Festakt zur europäischen „Landschaft des Jahres 1997/98“ proklamierte. Prämierte „Landschaften“ sollen ökologische Bausteine eines neuen Europa sein: eines Europa, das ohne Grenzen, sozial und offen ist und nachhaltig wirtschaftet. Da ist die Maas fürwahr keine schlechte Wahl, dürfte doch ein wenig menschliche Fürsorge dem 925 Kilometer langen Fluß gut tun. Schließlich muß sich die Maas entlang ihres Laufes von Pouillyen-Bassigny in Frankreich bis zur Mündung bei Rotterdam so manches Attentat gefallen lassen.

Nicht nur zwingen die Behörden aus Angst vor neuerlichem Hochwasser den Strom durch die Verstärkung der Deiche in ein immer engeres Korsett und vergrößern damit das Hochwasserrisiko. Die Maas ist als offener Abwasserkanal auch eine mittlere Kloake. Ihr Wasser, das heute etwa sechs Millionen Menschen zur Trinkwasserversorgung dient, ist permanent chemischen und thermischen Belastungen ausgesetzt. Abwässer aus der chemischen, Metall-, Papier- und Textilindustrie werden (in Belgien sogar meist ungeklärt) in die Maas abgeleitet. Dazu kommen Haushaltsabwässer aus drei Ländern sowie hohe Pestizid- und Düngemitteleinträge aus der Landwirtschaft. Auch leiten mehrere Kraftwerke in Frankreich und Wallonien Kühlwasser in die Maas ein. Dadurch hat sich die durchschnittliche Wassertemperatur bei Maastricht seit den sechziger Jahren von 10 auf 16 Grad Celsius erhöht. Das wiederum hat ein dramatisches Algenwachstum und Sauerstoffmangel zur Folge. Außerdem hinterließ an vielen Orten der Abbau von Kies eine Mondlandschaft.

Durch diese Art „traditioneller Nutzung“ wird dem Fluß zwangsläufig das Wasser abgegraben. Die ökologische Sanierung der Maas oder gar eine Umorientierung in Richtung eines nachhaltigen Wirtschaftens in der Region stehen zwar seit einigen Jahren auf dem Papier, konkrete Projekte jedoch kommen nur mühsam in Gang. „Besser Leben mit der Maas“ impliziert für Herbert Brückner, dem Präsidenten der NFI, mehr als nur die Sicherung der Ressource Wasser und der Lebensbedingungen im Fluß. „Wir brauchen zukunftsorientierte Entwicklungschancen für die Maas-Region, alternative Arbeitsplätze im Öko-Tourismus, in der biologischen Landwirtschaft, im regionalen Handwerk und Gewerbe“, erklärte der frühere Bremer Gesundheitssenator anläßlich der Auftaktveranstaltung der „Landschaft des Jahres“ in Maastricht.

Ein hochgestecktes Ziel, das die NFI seit gut acht Jahren verfolgt. Die Philosophie der Aktion „Landschaft des Jahres“ ist es, die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit jeweils auf eine bestimmte grenzübergreifende Landschaft zu lenken, die eine exemplarische ökologische Bedeutung hat und zugleich in besonderer Weise gefährdet und damit schützenswert ist. Die bisherigen „Landschaften des Jahres“ waren 1989 der Bodensee (Österreich, Deutschland, Schweiz), 1990 der Neusiedler See (Österreich, Ungarn), 1991/92 die Eifel-Ardennen (Luxemburg, Belgien, Deutschland) und 1993/94 die Odermündung (Polen, Deutschland). 1995/96 wurden insgesamt 450.000 Quadratkilometer Alpen mit dieser Auszeichnung bedacht, für ihre Aktionen jedoch griff die NFI, ein Zusammenschluß von 20 nationalen Verbänden mit europaweit 600.000 Mitgliedern, zwei besonders gefährdete Regionen heraus: das Kärntner Lesachtal (Österreich) und das Gebiet Furka-Grimsel-Susten in der Schweiz. 1997 und 1998 nun rühren die Naturfreunde die Werbetrommel für die Maas. Um auf die Folgen der Erwärmung des Wassers für die Flußlebewesen und für die Trinkwasseraufbereitung aufmerksam zu machen, hatten Mitglieder aus den flämischen und holländischen Landesverbänden an der Servaas- Brücke in Maastricht Krokodile ausgesetzt – aus Plastik. Marius Ernsting, der Vorsitzende der niederländischen Naturfreunde (NIVON): „Natürlich ist ein Szenario, wonach sich eines Tages Krokodile in der Maas wohlfühlen könnten, etwas überzogen. Aber wir dürfen nicht länger tatenlos zusehen. Wir müssen gegen Verunreinigungen dieser Art nach dem Verursacherprinzip vorgehen. Die positiven Eigenschaften der Maas, die ökologische Bedeutung, Tourismus, attraktive Wohnumgebung, dürfen nicht länger der Profitgier einzelner geopfert werden.“

Besser Leben mit der Maas. Leicht gesagt. Für die Bewohner der Dörfer in den niederländischen Provinzen Limburg, Brabant und Gelderland, denen im Dezember 1993 und Januar 1995 zweimal innerhalb eines Jahres das Wasser buchstäblich bis zum Halse stand, heißt das primär ein stetiger Kampf gegen die Maas. Das wurde während einer Diskussion mit Hochwasserexperten, Politikern und Projektentwicklern im südniederländischen Itteren deutlich, die die NFI anläßlich der Proklamation organisiert hatte. Nachdem zwei Stunden lang von „ökologischer Sanierung“ und „integrierter Entwicklung“, von Hochwasser als „Kultur- statt Naturkatastrophe“ und vom „natürlichen Spielraum der Maas“ die Rede gewesen war, brachte Itterens Gemeinderatsmitglied Peter Schols die Nöte der Dorfbewohner auf den Punkt: „Meine Damen und Herren, auch wir lieben die Maas. Auch wir sind für die Umwelt. Aber für Lösungen, wonach nur eine natürlich strömende Maas die Landschaft bereichern könnte, wonach Flüsse mit Deichen gefährlicher wären als solche ohne Deiche, sind wir nicht zu haben.“

Diese Fraktion hat Tatsachen geschaffen: Innerhalb von zwei Jahren nach dem letzten Hochwasser vom Januar 1995 wurden entlang der Maas Hochwasserschutzeinrichtungen neu errichtet oder bestehende verstärkt. Aber es gibt auch zukunftsträchtige Projekte. „Groen voor Grind“ beispielsweise. Auf einer Strecke von 70 Kilometern soll die Maas wieder ein natürliches Bett erhalten. Das Projekt sieht vor, bis zum Jahre 2005 den Abbau von Kies entlang des Flusses einzustellen, die Flächen zu renaturieren und für Besucher zugänglich zu machen. Kies soll aus dem Fluß selbst gefördert und mit dem Gewinn die „Produktion von Natur“ finanziert werden.

Auf dem 40 Hektar großen Gelände Kerkeweerd an der „Alten Maas“ nahe Dilsen-Stokkem ist die angestrebte Symbiose im Ansatz gelungen. Hier hat sich die Natur zurückgemeldet – und zwar ohne menschliche Nachhilfe. Sattes Grün und klares Wasser umrahmen Kieshalden und Fördermaschinen. Galloway-Rinder und polnische Konik-Pferde garantieren durch natürliche Abgrasung, daß nicht zuviel Wald wächst. Nicht Landwirtschaft, sondern Wildwuchs lautet das Konzept. Nur wenige hundert Meter weiter, im Besucherzentrum „De Wissen“, wird mit Hilfe modernster audiovisueller Technik „Landschaft erfahrbar“ gemacht. In den Räumen dieses „interaktiven Museums“ geht's auf eine wortwörtlich bewegte Entdeckungsreise: De Wissen stellt natur- und kulturhistorisch interessierten Touristen auf plastische Weise die Lebewesen in dem, auf dem und um den Fluß herum vor.

Besser leben mit der Maas geht zunächst die Leute vor Ort an. Genau dort setzt die „Landschaft des Jahres“ an. Das NFI-Aktionsprogramm „Maas – lokal aktiv“ will in den kommenden zwei Jahren helfen, in den Regionen eine neue Art von Tourismus auszubilden. „Wir bieten nicht nur Fahrradtouren, Kajakfahrten und Symposien zum Thema Maas an“, sagt Paulien Boogaard, PR-Mitarbeiterin im Maasprojekt bei den holländischen Naturfreunden. „Wir werden auch mit Behörden, Unternehmen und Verbänden vor Ort die Möglichkeiten für einen ökologisch orientierten Tourismus ausloten.

1998 startet eine Ausbildung zum ökologischen Fremdenführer. Auch Ferien auf dem Öko-Bauernhof gibt es schon. Und Biobauern können in Seminaren lernen, wie sie Touristen zum ökologischen Anbau animieren.“

Diese Art ökologischer Sanierung des Tourismus kostet natürlich Geld. Geld, das sich die NFI unter anderem aus Brüssel erhofft. „Selbstverständlich wollen wir für ausgewählte Projekte Mittel aus dem europäischen Strukturfonds“, sagt NFI-Präsident Brückner. „Schließlich ist dort nicht zuwenig Geld das Problem, sondern seine Verwendung.“ Die EU-Subventionen sollten von der traditionellen, naturverbrauchenden Landwirtschaft in Richtung Umweltsektor verlagert werden. „Mit der ,Landschaft des Jahres‘ wollen die Naturfreunde diesen Prozeß beschleunigen“, so Brückner. „Wir wollen Druck ausüben, damit eines Tages die nicht nachhaltige Nutzung von Natur nicht subventioniert, sondern im Gegenteil besteuert wird.“

Informationen über Aktionen, Reisen und touristische Veranstaltungen bei NIVON Amsterdam, Tel. (0031) 206269691 oder NFI Wien, Tel. (0043) 18923877