Enganliegende Rhythmen...

...aber atmungsaktiv: Die Hitmaschine Andreas Dorau übersetzt Körperfunktionen in Soundtemperaturen. Dabei aufs Dichten zu verzichten und die Liedgattung „Song“ in den Wind zu schreiben kommt aber nicht in Frage  ■ Von Oliver Fuchs

„Andreas“ der Vorname, etwas schmucklos, nur in Maßen funky. Dann kommt „Dorau“, auch nicht gerade der Hit. Wie mag das Klingelschild von einem aussehen, der so heißt? Schwarze Buchstaben auf Umweltpapier, Schrifttyp Helvetica? Damit alle wissen: Hier wohnt jemand, mit dem es das Schicksal nicht gut meint. Hier wohnt einer, der Probleme hat.

Seit 17 Jahren steht Andreas Dorau kurz vorm Durchbruch. Und das, obwohl bereits 1980, als er noch zur Schule ging, alles darauf hindeutete, daß er es schaffen würde. Und sogar alle von ihm redeten wie von einem, der es schon geschafft hat. Andreas hatte mit ein paar Mädchen aus der Unterstufe eine vollelektronische Weltraum-Ode aufgenommen, die manches vorwegnahm, was später als „Neue Deutsche Welle“ die Sender rauf- und runterlief. „Fred vom Jupiter“ wird heute bei NDW-Parties kaum gespielt, weil die Platte nur in Raritätensammlungen existiert und die DJs zudem glauben, daß mit „Codo“ von DÖF zum Thema All alles gesagt ist. Eine Platte, die dann todsicher auch immer läuft, ist „Ich will Spaß“. Markus hieß der Mann, der Doraus burschikosen Charme und näselnden Gesangsstil mehr schlecht als recht kopierte und zum Dank immerhin Nena als Filmgeliebte kriegte. Seitdem hat Dorau den Krempel einmal hingeschmissen und zweimal ganz neu angefangen.

Die Hauptgründe für ihn, noch zu NDW-Hochzeiten Film zu studieren und das mit dem Singen erst mal sein zu lassen, waren Ärger und Kummer mit dem Schallplattenmulti CBS. Erst als Ende der Achtziger mit Acid-House neue Selbstermächtigungen die Runde machten, beschloß er, sich wieder einzumischen in eine Bewegung, bei der „jeder mitmachen konnte, so ähnlich wie bei Punk“.

Wenige Jahre später gingen Retro und Disco eine glitzernde Bindestrichehe ein – und Indie-Dorau, mittlerweile wieder bei einem Major unter Vertrag, war natürlich mit von der Party. So wie er überhaupt bei jeder mittleren Soundumwälzung die Ohren spitzte und kritisch prüfte, was für ihn dabei abfallen könnte. „Neu!“ hieß die 94er Platte, mit der sich Dorau als Raver neuerfand. Das große Geld verdienten indes andere, Kopisten wie Dieter Thomas Kuhn, der die Siebziger weder werktreu nachspielt noch interessant neuvertont und der vom Tanzen schon gleich gar nichts versteht.

„So ist das nun mal“, bilanziert Dorau auf seinem neuen Album, einer Märchenplatte im modernsten House-Gewand. Hörspielartig der Anfang, da raunt die böse Hex' „Laß uns brennen, bren-nen!“ Dann züngeln Flammen, lodert das Feuer einer durch und durch kontrollierten Raserei. „Girls in Love“. Hit! Hit! Die kickendsten Dancegrooves der Bee Gees und, ihr könnt mich auslachen, Boney M. Knusprig aufgebackene Erinnerungen an eine Zeit, als vernünftig denkende Menschen in die Disco gingen, um ihre Körper zu befreien. Aber wie genau das gehen sollte, haben wohl nur die wenigsten gewußt.

Andreas Dorau reitet das Disco-Ding nicht tot, er spinnt es weiter in Richtung House und bildet so House auf seine eigenen Wurzeln ab. Am Ende stellt er auch die meditativen Momente seiner Platte genüßlich aus und bleibt doch immer Gegenpol zum bedächtigen Ansatz von Whirlpool Productions. „70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft“ ist House- Musik in dem Sinn, daß Körperfunktionen in Soundtemperaturen übersetzt werden. Atmen, gurgeln, zisch. So eng am Körper wie nötig, so frei wie möglich.

Im sampelnden Umgang mit der Vergangenheit spart sich der Pleasure-Politiker jede billige Ironie. Die schlägt dann leider in den Texten durch, wo wieder auf breiter Front einem tantenhaften Humor gehuldigt wird. Die „Blaumeise Yvonne“ fliegt vorbei und mit ihr gleich ein ganzer Schwarm von Vollmeisen. An anderer Stelle heißt es: „Ich bin in mich selbst verliebt, ich wußte nicht, daß es das gibt.“ Gibt's das?

Dorau, der Kauz. Im Traum würde er nicht daran denken, die Literaturgattung „Song“ in den Wind zu schreiben, aufs Dichten ganz zu verzichten. Schon seltsam: Jede neue Dorau-Platte mit sound- und sampletechnischen Finessen klingt auf ihre Weise neu und frisch und anders. Andererseits klingt sie immer wie eine Dorau-Platte, wozu die Texte ihr Scherflein beitragen. Ganz das romantische Künstlerindividuum, schwingt er sich Werk für Werk zu einer neuen Seinsstufe empor.

In den frühen Tagen posierte er gern als James Bond, heute läßt er sich mit Seventies-Schianzug und Brettern Marke „Wizzard“ fotografieren. Im Video zu „So ist das nun mal“ trägt er außerdem einen Helm und hält allen Leuten, die er trifft, ein Foto von Detektiv Rockford unter die Nase. Von Bond zu Rockford, from: Disco to: Disco.

7.6. Leipzig, 8.6. Dresden, 9.6. Frankfurt/M., 12.6. München, 13.6. Köln, 14.6. Berlin, 2.7. Heidelberg, 3.7. Tübingen, 4.7. Frankfurt/M., 19.7. Hannover, 25.7. Neustrelitz, 26.7. Potsdam