Algerien wählt wie programmiert

■ Für Staatspräsident Zéroual hätte das Wahlergebnis nicht besser ausfallen können. Seine Partei kann mit der früheren Einheitspartei FLN bequem eine Mehrheit bilden. Die gemäßigten Islamisten sprechen von Manipulationen

Algier (taz) – Als die steife Mittelmeerbrise begann, die Freitagsgebete der Muezzins über die Hügel der Bucht von Algier zu treiben, hatte Innenminister Mustafa Benmansour bereits seine Schuldigkeit getan. Er hatte die neue Zusammensetzung des ersten gewählten Mehrparteienparlaments Algeriens verlesen. Anders als 1991 darf die neue Volksvertretung mit dem Segen der Armee rechnen.

Das Ergebnis hätte für Algeriens Armee um Exgeneral und Staatspräsident Liamine Zéroual nicht besser ausfallen können. 33,6 Prozent und 155 der insgesamt 380 Parlamentssitze entfielen auf die Nationaldemokratische Versammlung (RND) von Abdelkader Bensalah, der Partei der alten Machthaber zur Stützung von Staatspräsident Liamine Zéroual. 14,6 Prozent (69 Sitze) erreicht für die gemäßigten Islamisten der Bewegung für eine Gesellschaft des Friedens (MSP) Scheich Nahnah Mahfoudh, 14,2 Prozent (64 Sitze) die ehemalige Einheitspartei FLN und 8,7 Prozent (34 Sitze) die hauptsächlich im Osten des Landes verankerte zweite islamistische Kraft, Ennahda.

Die systemtreue RND kann nun zusammen mit der FLN bequem regieren. Die Islamisten vereinigten fast über eine halbe Million Stimmen weniger als die FIS vor fünf Jahren. Und die Demokraten verkommen endgültig zum schlechten Gewissen der Nation.

Der konservativ-islamistische Block konnte fast zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinigen und die laizistischen, demokratischen Parteien mehr oder weniger an den Rand drängen.

Scheich Mahfoudh Nahnah von der MSP sind die präsentierten Zahlen allerdings zu perfekt: „Der Abstand zwischen der RND und uns stimmt mit den tatsächlich abgegebenen Stimmen nicht überein.“ Er überlegt jetzt, den Verfassungsrat anzurufen. Seine Wahlkampfveranstaltungen waren immerhin die am besten besuchten. Und alles deutete darauf hin, daß seine gemäßigte islamistische MSP weit besser als bei den Präsidentschaftswahlen 1995 abschneiden würde.

Der Innenminister Mustafa Benmansour gibt sich betont gelassen. Und er kann es sich leisten, denn des Segens der wichtigsten westlichen Länder ist er sich gewiß. „Wir sind zufrieden über die hohe Wahlbeteiligung“, beglückwünschte allen voran Washington den Staatspräsidenten Zéroual zu den Wahlergebnissen. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Nicolas Burns: „Ein deutliches Zeichen der Hoffnung.“

Die Beobachter aus den Ländern der Arabischen Liga – die meisten von ihnen autoritäre Regime ohne jegliche Wahlerfahrung – bestätigten bereits am Morgen nach dem Urnengang die „Sauberkeit der Wahlen“.

Die 107 Vertreter der UNO, darunter Vertreter von elf EU-Ländern, werden frühestens heute nachmittag zu einem Ergebnis kommen.

Die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) des Exilpolitikers und Bürgerkriegsveteranen Hocine Ait Ahmed liegt bei 4,5 Prozent (19 Sitzen). Ihr ewiger Rivale, die radikal republikanische Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD) des Arztes Said Sadi, bei 4,2 Prozent (19). Während die RCD damit gegenüber dem ersten Wahlgang 1991 ihre Stimmen verdoppelte, verlor die FFS fast die Hälfte. Beide Formationen sind vor allem in der Kabylei verankert. Die dortigen Wähler haben die FFS für ihre Dialogbereitschaft mit der FIS bestraft, indem sie der Partei Sadis, einem radikalen Gegner alles Religiösen, ihr Vertrauen schenkten. Reiner Wandler

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