Das apokalyptische Radio

■ Auf seinem Polenbesuch kann der Papst hören, was Katholiken wirklich wollen. Das erzkonservative Radio Maryja empfiehlt: "Trocken Brot statt Hamburger!"

Das Mikrofon ist offen. Pater Rydzyk weiß, daß seine Stimme nun durch Millionen polnischer Wohnzimmer donnert: „Wir können Europa nicht beitreten! Nicht auf Kosten der Nation und der Kirche! Nicht auf Kosten der Familie! Das ist Verrat!“ Beifall braust auf. Der Rundfunkprediger spricht den Gläubigen in der Warschauer Johannes-Kirche aus dem Herzen. „Abtreibung ist die Vorstufe der Euthanasie! Was wird im Jahre 2010 sein? Die Statistiker sagen: Auf einen Arbeiter kommen zwei Rentner.“ Pater Rydzyk sieht die Apokalypse kommen: Mit der westlichen Zivilisation droht Polen das Ende. Doch es gibt einen Ausweg: die Besinnung auf die nationalen Tugenden und die bewußte Wahl der Armut – statt Hamburger tockenes Brot.

„Radio Maryja – die katholische Stimme in Deinem Haus“ hetzt die Polen auf: gegen Europa, gegen die Verfassung, gegen alles Neue und Fremde. Mit Erfolg: Immer mehr Rentner, Bauern und Hausfrauen schalten zu. Seit seiner Gründung am 8. Dezember 1991 ist Radio Maryja zum erfolgreichsten katholischen Privatsender Polens aufgestiegen. Vier bis fünf Millionen Menschen hören ihn täglich, das sind rund 14 Prozent aller erwachsenen Polen. Sie bilden eine verschworene Gemeinschaft: die „Familie Radio Maryja“. Zusammengehalten wird sie durch das gemeinsame Gebet – allein dreimal täglich Radio-Rosenkranz –, das intensive Gespräch, in dem die Hörer nicht unterbrochen werden, auch wenn sie in antisemitische oder nationalistische Haßtiraden verfallen, und das Gefühl, „Verteidiger des Guten“ zu sein.

Die Feinde, die ständig „das Evangelium, die Kirche und die Nation“ angreifen, nennt Tadeusz Rydzyk, der Gründer von Radio Maryja, deutlich beim Namen: die regierenden Postkommunisten, die Linken und Liberalen, alle Un- und Andersgläubigen und natürlich alle Kritiker von Radio Maryja. Das Gefühl „Gemeinsam sind wir stark“, das der Sender den Zukurzgekommenen und Verlierern der Reform in Polen vermittelt, stärkt auch Pater Rydzyk den Rücken. Ohne Umschweife nennt er daher einen Bischof, der ihm die Erlaubnis entzieht, auf der Frequenz des Diözesanfunks zu senden, „Teufel im Gewand eines Bischofs“. Die „Familie“ – immerhin einige Millionen Katholiken – steht zur Verteidigung bereit.

Im Präsidentschaftswahlkampf 1995 hat Pater Rydzyk zum ersten Mal gezeigt, welche Macht sein Wort haben kann. Als er zwei Präsidentschaftskandidaten in einer Sendung diffamierte, Hanna Gronkiewicz-Waltz als „Jüdin und Freimaurerin“ und Jacek Kuron als „Verantwortlichen für die stalinistischen Verbrechen in Katyn“, war deren Wahlkampf verloren. Zwar distanzierte sich der Generalsekretär des Episkopats, Bischof Tadeusz Pieronek, öffentlich von dem Sender, doch die „Familie Radio Maryja“ glaubte eher Pater Rydzyk denn Bischof Pieronek.

Der Pater mit den zwei Handys in der Kutte wird von seinen Hörern fast wie ein Heiliger verehrt. Gemeinsam versetzen sie die von Radio Maryja ausgemachten „Feinde“ immer wieder in Angst und Schrecken. Vor kurzem bekam Ryszard Miazek, Mitglied des Landesrundfunk- und Fernsehrates, die Macht der „Familie“ zu spüren. Als Pater Rydzyk um die Zuteilung weiterer Frequenzen für seinen Sender bat, meinte Miazak verächtlich: „Wer will denn schon diese Gebete hören?“ Wenige Tage später überschwemmten Hunderttausende von Briefen und Postkarten den Rundfunkrat, die Telefonzentrale brach zusammen, in den Korridoren und Büros standen Hunderte von aufgebrachten Radio-Maryja-Hörern und empörten sich über die „Diskriminierung der Katholiken in diesem Lande“. Die Frequenzen wurden selbstredend sofort erteilt.

Zuvor hatten Abgeordnete, die für die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes gestimmt hatten, um ihre Haare fürchten müssen. Pater Rydzyk forderte in seiner berüchtigten Abendsendung „Gespräch ohne Ende“ seine Hörer auf: „Laßt sie uns kahlscheren, so wie die Polinnen, die es im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen trieben. Man sollte sie brandmarken, denn sie sind Verräter der Nation.“ Zwar nahm der Pater den Aufruf einen Tag später wieder zurück, doch die Abgeordneten hatten fortan kein leichtes Leben mehr. Nicht nur, daß die Demonstranten nach ihrem „Marsch des Lebens“ die „Verräter“ bis zur Haustüre verfolgten; manche malten ein Kreuz auf die Tür oder den Satz „Ich bin ein Mörder“ auf das Auto.

Wie schnell Haßpredigten in unkontrollierte Gewalt umschlagen können, mußte Marian Krzaklewski, Vorsitzender der „Wahlaktion Solidarność“, im März erkennen, als eine Demonstration gegen die regierenden Postkommunisten eskalierte: Molotowcocktails flogen, Polizisten und Demonstranten prügelten sich, das Wort vom „polnischen Albanien“ machte die Runde. Pater Rydzyk könnte noch vor den Parlamentswahlen im Herbst eine ähnliche Erfahrung bevorstehen. Schon heute pflegt er seine „Familie“ auch als „Armee“ zu bezeichnen, die er in den „Kampf“ schickt, auf daß sie den „Sieg“ davontrage. Der Schlachtruf zumindest erschallt schon in jeder Sendung: „Halleluja – und voran!“ Gabriele Lesser