Letter from Shanghai
: Neulich bei Gucci

■ Die Kulturtechnik, Visitenkarten zu überreichen

Das erste, was ich nach der Landung in Hongkong im Flughafengebäude sah, war genau das Esprit-Plakat, das ich bereits vor dem Abflug in Frankfurt gesehen hatte. Solchermaßen beruhigt durch die Globalität der Werbung, konnte ich mich dem asiatischen Abenteuer nähern. Schön und gut, heißt es da, aber Hongkong ist ja auch eine westliche Stadt, nicht wahr. Wie sieht das denn in der Volksrepublik aus?

Bleiben wir beruhigt, genau so. Herzlichen Dank, schreibt mir die nette PR-Dame von Gucci aus Hongkong, daß Sie den „Shanghai event“ unterstützt haben. Das war die Eröffnung der Gucci-Boutique im Erdgeschoß eines leicht lädierten Art-deco-Gebäudes an der Huaihai Lu, den 150 Metern, auf denen Shanghai sich dem globalen Luxuskonsum öffnet. Selbstverständlich sind wir uns nie begegnet, die nette PR-Dame und ich, aber am Nachmittag des Events, stand ich natürlich auch an der Glastür Schlange, bestaunt von anderen Bewohnern dieser Stadt, die im Supermarkt nebenan ihre Samstagseinkäufe erledigten. Vorbeigedrängelt an einigen vage bekannten Gesichtern aus der örtlichen internationalen Community, wurde kurz und unerschrocken an den Preisen vorbeiblickend (die chinesischen Importsteuern auf dergleichen Waren sind zum Fürchten und betragen etwa 120 Prozent) die Kollektion gewürdigt, bevor ich meine Visitenkarte in einer monumentalen Schale edlen Designs ablegte. Dann nix wie weg, die abendliche Modenschau entging mir leider. Aber bereits auf dem Rückweg konnte ich der Pressemitteilung entnehmen, daß die Geschäftseröffnung ein großer Erfolg und ein von vielen, auch ausländischen Besuchern gewürdigtes Ereignis gewesen sei. Daß die Einladung zum Event mit denselben Beinen in geschlitztem Hosenbein und filigraner Sandalette geschmückt war, wie ich sie wenig später auf den Seiten eines italienischen Modemagazins wiederfand, versteht sich. Nun hat die chinesische Kulturtechnik des Visitenkarten-Überreichens einen Stellenwert, den niemand, vor allem nicht der Zugereiste, unterschätzen sollte. Überreicht man nicht, gilt man beinahe als ungehobelt, beherrscht in jedem Fall die sozialen Regeln nicht. Überreicht wird mit beiden Händen und angedeuteter Verbeugung, als Zugereister mit der chinesischen Übersetzung des eigenen Namens nach oben. Die Person, die die Karte entgegennimmt, wird jedoch nur in den seltensten Fällen in die neue Gucci-Kollektion gewandet sein. Auch die Verkäuferinnen nebenan bei Prada sehen stets erschreckend gelangweilt aus.

Aufgrund der winterlichen Kälte respektive der zuweilen abrupten Klimawechsel im Frühling trägt man vorzugsweise schichtenweise Kleidung; unabdingbar beim männlichen Gegenüber ist der (selbstgestrickte) V-Pullover zum Anzug. Dem Modeorakel Suzy Menkes konnte man jüngst entnehmen, die jahreszeitlich bedingte Kleidung sei abgeschafft, eine neutrale „fünfte Saison“ lasse jede Stoffkombination und Farbschattierung zu jeder Jahreszeit zu. Ist dem so, befindet sich China aus purer materieller Notwendigkeit modetechnisch ganz weit vorn. Denn hat man jemanden vor sich, dessen Kleidung der Jahreszeit entspricht, oder deren gelungene Farbkoordination auffällt, so hat man es garantiert mit einem jener chinesischen neuen Reichen zu tun, die die Berichterstattung westlicher Medien füllen. Alle anderen Menschen, siehe oben. Dabei ist der Wille zur Mode unübersehbar, das Esprit-Plakat fand sich schließlich auch im Schaufenster des Esprit-Ladens auf der Nanjing Lu, Shanghais endloser Einkaufsstraße. Stephanie Tasch