Teutonische Oscarallmachtsphantasien

Ein Hauch von Ordensverleihung lag bei der Vergabe des Deutschen Filmpreises in der Berliner Flughafenluft. Bürgermeister Diepgen wurde auf einer Propellermaschine hereingeschoben, und auch sonst gab es viel Peinliches  ■ Von Katja Nicodemus

Da steht er nun mit seinem Blendaxlächeln, adrett blondgescheitelt und faselt von den „Verbreiterungen, Vertiefungen“ und „Blütenträumen“ des deutschen Films. Man weiß nicht, wen man mehr hassen soll, den Bundesinnenminister oder seinen Redenkritzler. Einige Millionen Mark schüttelte Manfred Kanther, betont jovial und gar zum Scherzen aufgelegt, wieder einmal über dem deutschen Filmvolk aus, im Laufe dieser „langen Nacht der Stars“. Gewissermaßen unvermeidliches Übel, daß der Deutsche Filmpreis vom Innenminister vergeben wird, und damit, Show hin oder her, immer auch das zart reaktionäre Lüftchen einer Ordensverleihung durch den Saal weht. Irgendwie komisch ist es schon, wenn die Damen und Herren Regisseure dem markigen Blondling brav die Hand schütteln, aber eben auch nur igendwie, denn Geld ist Geld, und zwar ziemlich viel. 900.000 Mark bekommt Helmut Dietls „Rossini“ mit dem Filmband in Gold. Für Wolfgang Becker („Das Leben ist eine Baustelle“) und Caroline Link („Jenseits der Stille“) gibt es mit silbernen Filmbändern jeweils noch satte 700.000 Mark.

In eine wirklich seltsame Situation wären nur Pepe Danquart und Mirjam Quinte gekommen, deren Dokumentarfilm „Nachsaison“ über Jahre hinweg die Arbeit des EU-Beauftragten Hans Koschnick in Mostar und damit das Scheitern des Zusammenlebens von Bosniern und Kroaten verfolgt. „Nachsaison“ ging leer aus, aber was wäre gewesen wenn? Und wie? Den Preis entgegennehmen und statt der üblichen Danksagung gegen Kanthers Umgang mit Flüchtlingen aus Exjugoslawien wettern? Oder dem Minister erst gar nicht die Hand geben. Aber was, wenn das Geld tatsächlich mit der persönlichen Entgegennahme des Goldenen Serviettenhalters verbunden ist? Also erst blitzschnell dem Minister das Filmband aus der Hand reißen und dann direkt zum Mikro. Allerdings wäre Kanther auch zuzutrauen, daß er das Ding einfach festhält, womöglich entstünde eine Rangelei. Die ARD, Regina Ziegler und einer glücksentschlossen versammelten Filmbranche die Show verderben, vielleicht von einem nervösen Leibwächter erschossen werden, nur wegen eines Statements? 1983 waren die Verhältnisse noch klarer. Damals, als Wim Wenders für „Der Stand der Dinge“ den Bundesfilmpreis in Gold erhielt und dabei eine Erklärung zur Freiheit der Kunst abgab, gegen den damaligen Innenminister Zimmermann. Damit stand er Herbert Achternbusch zur Seite, dessen blasphemischer Film „Das Gespenst “ von Zimmermann die Förderung gesperrt bekommen hatte. Ansonsten blickt der Bundesfilmpreis auf eine erstaunlich konfliktfreie Verleihgeschichte.

Daß Antihaltung heute auch beim Filmpreis out ist, mag man als allgemeine Zeiterscheinungen verbuchen, aber derart frei von Ironie und jedem subversiven Hauch muß es dann doch nicht sein. Wirklich komisch waren bei der diesjährigen Verleihung im Flughafen Tempelhof eigentlich nur die unfreiwilligen Lacher: Sabine Christiansen, die bei der Anmoderation des Preises für die beste weibliche Darstellerin (Sylvie Testud, „Jenseits der Stille“) plötzlich feststellt, daß sich im Frausein neuerdings Beruf und Sensibilität verbinden können. RTL-Samstagnacht- Queen Esther Schweins, die ihre Moderation, von sich selbst beeindruckt, mit einem Hölderlin-Gedicht beginnt, oder Hannelore Elsner und Iris Berben, die Dummchen vom Dienst spielen, dabei aber keineswegs doofer wirken als bei ihren normalen Talkshow-Auftritten. Außer Jürgen Vogel (Darstellerpreis für „Das Leben ist eine Baustelle“) und seiner sympathisch-großkotzigen Lobeshymne auf sich selbst, wußten die meisten Preisträger, denen man ja im Gegensatz zu den anderen Gästen keine verkrampften Schäkertextchen vorgeschrieben hatte, nicht so recht, was sagen. Also rette sich wer kann in die mit warmem Applaus belohnte Bescheidenheit: „Ohne den Dani/ohne die Caroline/ohne meinen Produzenten/ ohne meine Mutter würde ich jetzt nicht hier stehen.“ Auch Wolfgang Beckers Eingeständnis, er habe sich aus Aberglauben noch gar keinen Text überlegt, wurde im Laufe des Abends immer wieder dankbar aufgegriffen.

Weshalb Hellmuth Karasek, penetranter Popanz und wandelnde Altherrenanekdote, nicht einfach ersatzlos aus dem Protokoll geworfen wird, fragte man sich natürlich auch diesmal. Vor allem, als er beim ununterbietbar peinlichen Warming-up versprach, keine Blondinenwitze zu erzählen, in triefender Selbstüberschätzung und völliger Unkenntnis der Tatsache, daß jeder Blondinenwitz hundertmal mehr Klasse hat als die hirnverkrampften Kalauer des Abends („Der Schimmel über Berlin“, „Der Brotmacher“). Dafür wurde der kratzfüßelnde Karasek allerdings prima von Billy Wilder verarscht, dem er per Filmeinblendung einen Ehrenpreis in Hollywood überreichte.

Apropos „Lange Nacht der Stars“: Richtige Stars haben wir ja nicht zu bieten, 37 Prozent Marktanteil, neun Millionen Zuschauer für die Nominierungen und Til Schweiger hin oder her. Mangels Masse werden dann halt Sissi Perlinger und Olli Dietrich mal eben so zum „Traumpaar des deutschen Films“ erklärt. Dabei gehört zum Starsein nicht mal besondere Berühmtheit. Zum Beispiel konnte sich niemand so richtig an einen Film von Jennifer Jones erinnern, die den „Ehrenpreis für eine ausländische Persönlichkeit“ in Empfang nahm. In den paar Floskeln, die Mrs. Jones dann gerührt ins Mikrofon tremolierte, steckte allerdings mehr Glanz und Pathos als im gesamten Rest der Veranstaltung – da lauschten sogar die Meret und die Gudrun mucksmäuschenstill. Nach dem Motto „Deutschland und die Welt“ gebiert die teutonische Oscarallmachtsphantasie alljährlich auch eine Auszeichnung für den besten ausländischen Film. Ein bißchen absurd wirkt es schon, wenn Ang Lees Oscar- und Berlinalebärengewinner „Sense and Sensibility“ nach Monaten aus dem Hangar 6 des Tempelhofer Flughafens noch einen Preis hinterhergeworfen kriegt. Dieser Flughafen vollführt im Programmheft übrigens erstaunliche biographische Sprünge: „1929 – Graf Zeppelin gelandet. 1946 – Ziviler Luftverkehr wieder aufgenommen.“ Auch ein kurzer Filmclip zur Flughafengeschichte wurde in der entscheidenden Phase merkwürdig hektisch.

Das von der Zeit diagnostizierte Reichsfilmfieber wollte sich in Tempelhof nicht einstellen. Wie sollte es auch, wenn Eberhard Diepgen auf einem Propellerflugzeug in den Saal geschoben wird und von Berlins Rennesangs als Filmstadt schwärmt, wenn die Vilsmaierversion der Comedian Harmonists ihren Playbackauftritt verpatzt, und Diana Ross plötzlich einen Sound bekommt, der sich anhört, als würde eine Schülerband ihre größten Hits in einer Konservendose üben. Nein, die „Lange Nacht der Stars“ war wieder mal viel zu dilettantisch, um auch nur in die Nähe großdeutscher Filmgefühle zu kommen.