■ Theo Waigels Worte zum Sonntag und zum Haushaltsdefizit
: Rette sich, wer kann

Sie nennen es „neues Sparpaket“, die Herren Waigel und Co., und greifen hemmungslos die Stützpfeiler des Sozialstaats an. Nichts ist mehr heilig; einzig die Kriterien für den Beitritt zur Europäischen Währungsunion, die werden hochgehalten wie ein Marienbild bei der Fronleichnamsprozession.

Das Spiel, das Wochenende für Wochenende abläuft, macht keinen Spaß, weil es viel zu ernst ist. Keine Zeitung, die nicht die immer absurderen Gedankenspiele aus den Hirnen der Bonner Koalitionäre nachbeten würde. Wenn Waigel heute den grotesken Vorschlag macht, für Arbeitslose Karenztage einzuführen, dann weiß der/die geneigte BürgerIn sofort, wie DGB-Chef Schulte und der wackere Sozialapostel der SPD, Dreßler, morgen reagieren werden. Sie werden die Regierungskoalition der sozialen Kälte zeihen und nicht unerwähnt lassen, daß die Bundesregierung gar nicht ohne weiteres Karenztage für Arbeitslose beschließen kann.

Bei den Betroffenen kommt das alles kaum noch an. Sie haben inzwischen die Ohren auf Durchzug gestellt, wenn Vokabeln wie „Euro“, „Steuerreform“, „Sparhaushalt“ am Horizont erscheinen. Für die meisten gilt längst die Devise: „Rette sich, wer kann!“ Die Bereitschaft, schlechtest bezahlte Jobs anzunehmen, ist enorm gestiegen; die „soziale Hängematte“ dagegen hat zu große Löcher bekommen, als daß viele sie in Anspruch nehmen würden.

Man mag sich eine Reform wie in den Niederlanden wünschen, wo es gelungen ist, im Konsens mit den BürgerInnen den umfassenden Versorgungsstaat zu verabschieden. Doch hierzulande wird nicht mit den BürgerInnen diskutiert, hier wird verkündet und angekündigt, was das Zeug hält, und auch umgesetzt – droht nicht ausnahmsweise mal ernstzunehmender Widerstand wie bei den Bauarbeitern.

Wenn Waigel nun an diesem Wochenende neben Karenztagen für Arbeitslose auch noch den Griff in die Pflegeversicherungskasse sowie die Streichung von zwei Milliarden Mark für ABM- und Ausbildungsprojekte mal eben locker ankündigt, dann sind eben nicht umgehend ein paar 100.000 Arbeitslose, Pflegebedürftige und Lehrstellensuchende auf der Straße; nur Schulte, Dreßler und Scharping schütteln auf den Bildschirmen bedenklich ihre Köpfe. Doch was machen die Betroffenen? Sie schalten um oder ab. Viel Zeit zum Aufwachen bleibt nicht mehr. Gudrun Giese