Die Wähler kippen Irlands Regierung

■ Die Patt-Situation zwischen den großen Parteien gibt den Kleinen eine Chance. Die Labour-Party, Teil der alten Koalition, geht baden. Überraschend zieht ein Sinn-Fein-Angeordneter ins neue Parlament ein

Dublin (taz) – Es war ein guter Tag für die kleinen Parteien und die unabhängigen Kandidaten. Sie sind das Zünglein an der Waage, nachdem die irischen WählerInnen den großen Parteien am Freitag ein Patt beschert haben. Zwar stand das Endergebnis bei Redaktionsschluß noch nicht fest, weil die Stimmenauszählung aufgrund des komplizierten Wahlsystems mehrere Tage dauert, doch eines ist klar: Die Regenbogenkoalition aus der konservativen Fine Gael und ihren sozialdemokratischen Partnern von Labour und Democratic Left ist gescheitert. So erging es allen Regierungen seit 1969.

Dabei hatten 57 Prozent bei Umfragen geantwortet, sie seien mit der Regierung zufrieden – aber offenbar nicht mit der Labour Party. Sie verlor mehr als die Hälfte ihrer Sitze und stellt nur noch 15 Abgeordnete. Labour-Chef und bisheriger Außenminister Dick Spring machte den Dubliner Independent- Zeitungsverlag des Medienzars Tony O'Reilly dafür verantwortlich, weil dessen Blätter dazu aufgerufen hatten, die Opposition zu wählen.

Das wirkte nur bedingt: Fianna Fáil und ihre thatcheristische Abspaltung, die Progressiven Demokraten, die sich schon vor Wochen das Koalitionsversprechen gegeben hatten, konnten ihren Stimmanteil lediglich halten. Fianna Fáil, die „Soldaten des Schicksals“ unter ihrem Chef Bertie Ahern, gewannen diesmal allerdings 77 Sitze und verfehlten damit die absolute Mehrheit nur um sieben Mandate. Da die Progressiven Demokraten aber nur vier Sitze in die Koalition einbringen, ist die neue Regierung von der Gunst der kleinen Parteien und der Parteilosen abhängig.

Tony Gregory, altgedienter Sozialist im Dail, wie das Dubliner Parlament heißt, bekommt mit Joe Higgins einen zweiten Sozialisten zur Seite gestellt. Die beiden wollen eine kleine Fraktion bilden, um ihren Einfluß zu vergrößern. Der erste Sinn-Féin-Abgeordnete seit vierzig Jahren, Caoimghin O Caoláin, wird dagegen mit zwei parteilosen Abgeordneten eine nationalistische Fraktion bilden, um in Sachen Frieden in Nordirland Druck auszuüben.

O Caoláin wurde mit großem Vorsprung in seinem Wahlkreis an der nordirischen Grenze gewählt. Nach Bekanntgabe des Ergebnisses trugen ihn Parteipräsident Gerry Adams und sein Stellvertreter Martin McGuinness aus dem Saal. Wann habe es das schon mal gegeben, sinnierte ein Wähler, daß „zwei britische Abgeordnete einen irischen Kollegen auf Schultern“ tragen. Adams und McGuinness hatten bei den Unterhauswahlen Sitze gewonnen.

Gewählt wurde auch der ehemalige Staatssekretär Michael Lowry, der seinen Hut nehmen mußte, weil er korrupt ist und das Parlament belogen hat. Seine Wähler haben offenbar erkannt, daß sie von seiner Skrupellosigkeit profitieren – wenn es zum Beispiel um die Verteilung der Lottogelder auf die Regionen geht.

Verlierer der Wahlen waren die Grünen, die sich mehr als ihre zwei Sitze ausgerechnet haben, sowie die Frauen. Die Labour Party hatte den bei weitem höchsten Anteil an weiblichen Abgeordneten. An der Politik der Grünen Insel, die wegen der boomenden Wirtschaft „Grüner Tiger“ getauft wurde, werden die Wahlen wenig ändern. Dazu sind sich die großen Parteien zu ähnlich. Ralf Sotscheck