: "Theo Waigel reitet den Euro zuschanden"
■ Heidemarie Wieczorek-Zeul: SPD will an Zeitplan und Kriterien für die Einführung der dritten Stufe der Währungsunion festhalten
taz: Frau Wieczorek-Zeul, auch Deutschland wird die Maastricht- Kriterien verfehlen. Wird das Projekt nun verschoben?
Wieczorek-Zeul: Es wäre ein entscheidender politischer Fehler, wenn die vertragsgerechte Verwirklichung der dritte Stufe der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion verschoben würde. Man darf das Ziel nicht aus dem Auge verlieren: Es geht darum, stärkere Unabhängigkeit von der US-amerikanischen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu erreichen und den Euro als Leitwährung gegen den Dollar zu etablieren...
... dann muß der Euro aber hart werden.
Das größte Riskio für diesen Euro ist die Art, wie Theo Waigel ihn u. a. mit seiner Goldfinger-Aktion zuschanden reitet. Die Diskussion hat sich unzulässigerweise auf das 3,0 Prozent Kriterium für das Haushaltsdefizit verengt. Das hat wenig mit dem Vertrag zu tun, aber viel mit der Weise, wie ihn die CSU interpretiert. Man muß wegkommen von dieser Politik, die die Arbeitslosigkeit ansteigen läßt. Wir sind für die vertragsgerechte Erfüllung der Defizitkriterien, einschließlich des Zeitplanes.
Also eine Interpretation des Defizitkriteriums, die über 3,0 liegt.
Man kann mit 3,1 oder 3,2 Prozent eine solide Finanzpolitik haben, und man kann 3,0 mit einer „kreativen Buchführung“ erreichen. Die statistische Fixierung sagt nicht sehr viel über die Realität aus. Im übrigen sind für die Stabilität der Währung die Konvergenz bei den Zinsen und die Preisstabilität viel wichtiger.
Also hätte womöglich auch Griechenland mit 4,9 Prozent Defizit noch Chancen.
Das ist keine vertragsgerechte Anwendung der Kriterien.
Wo liegt denn nun die Grenze?
Wir müssen von der deutschen Unsitte wegkommen, andere Länder permanent zu kategorisieren. Es ist nicht unsere Aufgabe, auszugrenzen. Das Verfahren zur Festlegung der Teilnehmer ist eindeutig: Das Europäische Währungsinstitut und die EU-Kommission legen Anfang 1998 einen Bericht vor, auf dessen Basis der Rat entscheidet. Die Kommission hat eine Vorausschau gemacht, da war weder Italien noch Griechenland dabei.
Ihr Parteifreund Gerhard Schröder geht die Sache aber auch eher deutsch an. Er sagt, die Kriterien werden nicht erfüllt, also solle man die Währungsunion verschieben.
Wir können unsere Vorstellungen nicht an der miesen Politik der Bundesregierung messen. Wenn die Bundesregierung die Kriterien und den Zeitplan nicht einhalten kann, soll sie ihr Scheitern einräumen. Die SPD will die vertragsgerechte Anwendung der Kriterien, und sie will am Zeitplan festhalten.
Auch auf europäischer Ebene scheint die sozialdemokratische Lage da nicht so eindeutig.
Die Frage ist doch, wie man die europäische Einigung in ihrer beschäftigungspolitischen Dimension absichert. Und bei der Wachstums- und Beschäftigungspolitik haben die Sozialdemokraten in Europa bei allen unterschiedlichen Facetten doch die gleiche Grundrichtung. Das eigentliche Problem ist allerdings, daß Europa aufgrund der Wirtschaftspolitik, die bislang betrieben wurde, sich massiven Tendenzen zur Renationalisierung ausgesetzt sieht. Ich hoffe, daß nach der historischen Absage an die Konservativen in Großbritannien und Frankreich der Blick frei wird für ein Europa jenseits neoliberaler Denkschablonen und Massenarbeitslosigkeit.
Gibt es für dieses Europa jenseits des Neoliberalismus einen sozialdemokratischen Entwurf?
Es mag in den Instrumenten Unterschiede geben, doch gemeinsam ist die Erkenntnis, daß die Massenarbeitslosigkeit bekämpft werden muß und daß der soziale Rechtsstaat europäischer Prägung die wichtigste Voraussetzung im weltweiten Wettbewerb ist. Wir wissen, daß eine Währungsunion dauerhaft nur funktionieren kann, wenn sie ergänzt wird durch eine gemeinsame Beschäftigungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, durch Schritte gegen das Steuerdumping. Wenn auf der Ebene der fünfzehn Länder die Lohnnebenkosten gesenkt werden würden und der Einstieg in die Ökosteuer begänne, wäre das ein großartiges Projekt der Modernisierung, der ökologischen Umgestaltung und der Schaffung von Arbeitsplätzen.
Und das würden Blair und Jospin mitmachen?
Die Kommission hatte bereits unter Jacques Delors einen Einstieg in die Ökosteuerreform vorgeschlagen. Seinerzeit war der Bremser die Bundesregierung. In einigen Ländern gibt es bereits den Einstieg, jetzt braucht es auch in Deutschland eine Veränderung.
Das Modell Tietmeyer ist gescheitert, wo sind die Protagonisten, die das Nachfolgemodell bauen?
Die Konferenz der Europäischen Sozialdemokraten in Malmö wird in ihrer Grundbotschaft ein solches Modell zeichnen. Allerdings hat auch die europäische Sozialdemokratie und auch die Gewerkschaftsbewegung noch einiges an Vergemeinschaftung nötig. Die Sozialdemokratie war immer für Internationalität. Jetzt ist die Chance da, jetzt soll sie sie auch nutzen. Interview: Dieter Rulff
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