Waigel: 10. Juli ist Wüstenrot-Tag

■ Die Stunde der Wahrheit naht: In vier Wochen muß der Bundesfinanzminister seinen Haushalt 1998 vorlegen – aber noch klaffen riesige Löcher. Ein weiteres Sparpaket ist in Arbeit, Steuererhöhungen sind nicht ausgeschlossen

Bonn (AFP/dpa/taz) – In den nächsten vier Wochen entscheidet sich das Schicksal der Bonner Koalition. Am 10. Juli schlägt „die Stunde der Wahrheit“, erklärte der CSU-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Theo Waigel am Samstag. Bis zu diesem Tag muß er nämlich seinen Etat für das nächste Jahr aufstellen. Gestern kündigte Waigel (CSU) dann weitere drastische Maßnahmen an, bei denen „unglaublich“ gespart werden müsse. Dabei dürfe es „kein Tabu“ geben.

Zwar sollen die Steuern in diesem Jahr noch nicht erhöht werden. Für den Etat 1998 will Waigel dies aber nicht ausschließen. Laut Presseberichten plant die Regierung Karenztage beim Arbeitslosengeld, bedenkt eine Kürzung oder komplette Streichung des Weihnachtsgelds für Beamte und untersucht, ob die Überschüsse aus der Pflegeversicherung dem notleidenenden Haushalt zukommen könnten. Weitere Mittel erwartet Waigel aus der Privatisierung von Bundesvermögen.

Nachdem Waigel in der Kraftprobe mit der Bundesbank um die Höherbewertung der Gold- und Devisenreserven nachgeben mußte, wird in seinem Ministerium nun an einem neuen Sparpaket gearbeitet. Nach Angaben Waigels gibt es bisher noch keine Entscheidungen, wo gekürzt werden soll. Der Spiegel berichtet von Überlegungen, nach denen bei Arbeitsbeschaffungs- und Ausbildungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit für das laufende Jahr zwei Milliarden Mark eingespart werden könnten.

An die Besteuerung der milliardenschweren Rücklagen deutscher Stromkonzerne will sich die Regierung Kohl dagegen nicht heranwagen. Laut Spiegel hat sich der Bundeskanzler im Streit um die Gelder für den Betrieb eines atomaren Endlagers auf die Seite der Atomindustrie gestellt. Er bat Waigel, alle Pläne, diese insgesamt rund sieben Milliarden Mark zum Teil für den Fiskus nutzbar zu machen, ersatzlos fallenzulassen. Trotz größter Haushaltsnot verzichte Kohl damit auf Steuereinnahmen von bis zu 3,5 Milliarden Mark.

Bestätigt wurden von Waigel Pläne für einen Nachtragshaushalt für 1997. Sollten die Erlöse und Einsparungen nicht reichen und eine zusätzliche Neuverschuldung von mehr als drei Milliarden Mark notwendig werden, müsse die Regierung für 1997 einen Nachtragshaushalt vorlegen, sagte Waigel. Wenn die Gesamtschulden dann über die Investitionssumme von 59 Milliarden Mark ansteigen würden, müsse eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ festgestellt werden, um nicht gegen die Verfassung zu verstoßen. Begründet werden könnte diese „Störung“ mit der hohen Arbeitslosigkeit. Theo Waigel bekräftigte, er werde dem Kabinett am 10. Juli für das Jahr 1998 keinen Haushaltsentwurf vorlegen, bei dem die Neuverschuldung höher sei als die Investitionen.

Die FDP verweigert weiterhin mögliche Steuerhöhungen für 1998 und droht mit dem Bruch der Bonner Koalition. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Rainer Brüderle sagte, wenn die Union an Plänen für höhere Steuern festhalte, „dann müssen wir rausgehen“. „Die Opposition ist lebensgefährlich, aber Steuererhöhungen sind tödlich“, erklärte der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff. Waigels CSU lehnt zwar höhere Mineralölsteuern ab. Statt dessen könne die Mehrwertsteuer erhöht werden, sagte CSU-Fraktionschef Alois Glück.

Gegen die Bonner Sparpolitik gingen am Samstag mehr als 10.000 Menschen in München auf die Straße. Der DGB hatte zu der Kundgebung auf dem Marienplatz aufgerufen. Bayerns DGB-Chef Schösser bezeichnete Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) als „den Henker der Rentenversicherung“.

Widerstand gegen eine Kürzung des Weihnachtsgeldes für Beamte kündigte der Beamtenbund an. Sein stellvertretender Vorsitzender, der CSU-Bundestagsabgeordnete Regenspurger, zeigte sich davon überzeugt, daß sich gegen diesen Schritt auch eine Mehrheit im Deutschen Bundestag mobilisieren läßt. klh

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