Klassiker mit dem Zeug zur Satire

■ Von der Sozialkritik zum verqueren feministischen Manifest: Ibsens „Nora“im Oldenburger Theater

Zeitgemäße Inszenierungen älterer Stücke sind immer ein schwieriges Unterfangen. Denn nicht alle Vorlagen beinhalten so viele Ansatzpunkte für neuen Wagemut wie Shakespeares Stücke. Trotzdem versuchte sich Gerhard Jelen jetzt am Oldenburgischen Staatstheater entsprechend an Ibsens „Nora – ein Puppenheim“.

Im Outfit der 90er flegelt sich das Luxusgeschöpf (Nicola Lembach) auf edlen Ledersofas, treibt sein exaltiertes, intrigantes Spiel im unterkühlten Interieur, das den Einrichtungsseiten des Cosmopolitan entnommen scheint (Bühnenbild: Carola Seibt). Ihrem erfolgreichen Mann Torwald Helmer (Martin Rentzsch) entlockt sie mit lasziven Spielchen und bravem Schmollen immer wieder ein paar Scheinchen für ihren aufwendigen Lebensstil (eine Kreditkarte wäre doch viel praktischer). Als Gegenleistung hält sie ihn bei Laune: mit Sex, wie sonst. Doch nicht nur auf dem Sofa zahlt sie den Preis der Demütigung. Ihr aufstrebender Gatte duldet sie nur als infantiles Schoßhündchen, als sein „Eichkätzchen“, dessen Figur er peinlich überwacht – wegen der Außenwirkung.

Rentzsch spielt diesen kalt kalkulierenden Businessman mit schneidender Autorität und gewinnt ihm fast faschistoide Seiten ab: Wie er von geiler Sinnlichkeit umschwenkt zum schneidenden Klacken der Eckspanner, offenbart er eine beängstigende Janusköpfigkeit.

Drei Kinder dienen dem perfekten Arrangement als Staffage: Sie werden bei der Haushälterin ent-sorgt. Doch mit Niels Krogstadt (Rainer Rickleffs) klappt das Puppenheim zusammen. Nora hatte von ihm Geld geliehen – den Schuldschein mit dem Namen ihres Vaters gefälscht und natürlich die ihr gewohnte Gegenleistung erbracht. Mit dem Geld rettete sie ihren Mann einst aus schwerer Krankheit – als Investition in die eigene Zukunft. Nun erpreßt der Rechtsanwalt sie, um seine Anstellung in Helmers Bank zu behalten. Als moralische Instanz und rettender Engel betritt Frau Linde (hölzern und bremsend: Christine Jensen) die Szene und bekehrt Nora zu Aufrichtigkeit, um ihrer Lebenslüge und damit der erniedrigenden Ehe ein Ende zu setzen. Derart geläutert bricht der zerzauste „Zeisig“auf, um fortan sich selbst zu finden.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert war diese Botschaft durchaus gesellschaftskritisch und entsprach dem Credo der aufbrechenden Moderne: der Selbstverwirklichung oder dem Ausbruch aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Doch auch nach Jelens gründlicher Bearbeitung geraten manche Dialoge auf der Schwelle ins neue Jahrtausend eher unfreiwillig komisch etwa als Helmer an Noras Religion und Moral appelliert. Immerhin hat die Inszenierung somit das Zeug zur Satire, wenn sie darin nur etwas entschiedener wäre.

Nicola Lembach ist ohne weiteres abzukaufen, wenn ihre Nora der Machtlosigkeit durch Manipulationen zu entkommen sucht: Sie wechselt ihre Rollen in der Rolle glaubhaft berechnend und hysterisch. Doch die Läuterung wirkt eher wie der gute Vorsatz, nach drei Bänden Hera Lind jetzt endlich als böses Mädchen doch noch den Weg in den Himmel finden zu wollen. Ein verqueres feministisches Manifest, in dem die selbstverwirklichte Frau als der Prototyp des guten Menschen daherkommt.

Worin sich Ibsens Vorlage aber wohl tatsächlich als zeitgemäß erweist ist, daß im sozialen Klima am Ende der Moderne deren frühes Ehemodell wohl wieder seltsam aktuell wird. mig

Aufführungen: 1., 7., 11., 13. Juli um 19.30 Uhr