■ Vor Gericht: Verbrecherische Maibaummopser
: Raub auf öffentlicher Straße

Memmingen/Günzburg (taz) – Die deutsche Justiz ist so gnadenlos überlastet, daß sie immer wieder harte Jungs laufenlassen muß, weil die Anklageschrift nicht rechtzeitig fertig geworden ist. Doch für Prozesse und die Strafverfolgung in reichlich kuriosen Fällen bleibt offensichtlich genügend Kapazität, wie jüngst die Staatsanwaltschaft Memmingen vorexerzierte.

Am 11. Juni müssen sich vor dem Amtsgericht Günzburg sieben junge Männer aus Mittelschwaben verantworten. Die Anklage wirft ihnen ein „Verbrechen des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß Paragraph 316a, Absatz 1 des Strafgesetzbuches“ vor – ein kapitales Verbrechen also, das mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren strafbewehrt ist. Die jungen Burschen hatten in der Nacht zum 1. Mai 1996 auf der Staatsstraße 2025 im Landkreis Günzburg auf offener Straße einen Maibaum entwendet. Ein Jugendstreich ohne jegliche Gewaltanwendung sei das gewesen, beteuert einer der sieben Beschuldigten, Thomas S. „Wir haben denen den Baum abgejagt, weil wir dachten, die wollen uns unseren Maibaum klauen.“

Das Stehlen von Maibäumen ist ein altes Brauchtum, das bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, berichtet die Brauchtumskennerin Annemarie Stumpp aus Pfuhl bei Neu-Ulm. Im dortigen Heimatmuseum haben sich die Aktiven bereits intensiv mit dem Maienbrauchtum beschäftigt. Ganz besondere Bedeutung kommt schon seit Jahrhunderten dem entwendeten Maibaum zu. „Wenn ein Bursche seinem Mädle einen Maibaum setzt und der gestohlen ist, dann ist der viel viel mehr wert, denn er hat viel mehr Mut bewiesen und viel mehr Liebe gezeigt, als wenn er nur einen Baum aus dem Wald geholt hätte!“

Der Staatsanwalt sieht das allerdings ganz anders. „Hier geht es tatsächlich um die endgültige Wegnahme eines Maibaumes unter Gewaltanwendung, und das ist ein Raub, und wenn dieser Raub auf öffentlicher Straße stattfindet, dann ist das eben ein eigener Straftatbestand, der sehr hoch bestraft wird“, erklärt dazu Oberstaatsanwalt Christian Fürle, der stellvertretende Chef der Memminger Staatsanwaltschaft.

Den Vorwurf, Übereifer an den Tag zu legen, will der gestrenge Strafverfolger nicht auf sich sitzen lassen. „Das alles ist schwerwiegend genug, und es ist ja auch sehr reiflich überlegt worden, ob hier Anklage erhoben werden kann.“ Von Schlägen mit der Taschenlampe zur Erlangung des Maibaumes ist die Rede – eine Darstellung, der die Beschuldigten vehement widersprechen. Für sie war der ganze Fall längst aus der Welt geschafft. Schließlich hätten sie den Kontrahenten aus dem nahen Jettingen-Scheppach längst als Ersatz für den Sechs-Meter-Maibaum einen schönen Zehn-Meter- Baum plus „einiges an Bier“ vorbeigebracht. Nach einem Versöhnungsgespräch bei einem Sozialpädagogen in der Kreisstadt Günzburg hätten sie sich bei den Geschädigten entschuldigt. „Wir haben uns mit den anderen Jungs hervorragend geeinigt“, berichtet Thomas S.

Doch für die Staatsanwaltschaft bleibt der Fall bedeutend genug, um die Hauptverhandlung mit aller Konsequenz zu betreiben. „Es ist dem Charakter nach ein Verbrechen, das hier angeklagt ist, und im Verbrechensfalle kann eine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit eben nicht vorgenommen werden“, erläutert Oberstaatsanwalt Fürle.

Ein Entgegenkommen könne sich nur darauf beschränken, möglicherweise auf einen minderschweren Fall des „räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer“ zu plädieren – hierfür sieht das Gesetz ein Jahr Haft vor. Bislang ist jedoch noch nicht einmal klar, ob das Gerichtsverfahren an einem Tag abgewickelt werden kann, denn die Zeugeneinvernahme ist so aufwendig, daß möglicherweise Fortsetzungstermine für die Verhandlung erforderlich werden. Klaus Wittmann