Neues vom Junk-food

Salat in Pulverform, fettfreier Brotaufstrich und andere liebliche Kreationen aus dem Labor  ■ Von Fritz Keller

„Hurra, ich hab's gefunden!“ wird der leitende Ingenieur der japanischen Firma Otsuka Pharmaceutical Company gerufen haben, als er eine breite Palette künstlicher Nährstoffe, vom Vitamin B 12 bis Pantothensäure, zu einem biskuitförmigen Stengel designed hatte. Und er hatte auch allen Grund dazu. Denn dieses Novel food mit der gesundheitsbewußten Beifügung „Balanced Food“ als „Calorie Mate Block“ auf den Markt gebracht, war nicht nur „maßgeschneidert natürlich für Menschen unterwegs, die einfaches, energiereiches und nahrhaftes Lebensmittel benötigen“, wie der Beipacktext verspricht.

Calorie Mate Block besteht aus Proteinen, fettartigen Stoffen, Vielfachzucker, Eisen sowie den Vitaminen A bis E. Der Konsum dieser denaturierten Stengel „zum Frühstück, bei der Arbeit, beim Studium oder zu jeder anderen hektischen Zeit“ war auch die schon lang ersehnte, ultimative Lösung für den fortschreitenden Fortschritt [nun, laßt uns einen rückschreitenden Rückschritt tun und Nahrungsaufnahme zu einem sinnlichen Vergnügen machen, d.sin] der Umsätze in der Nahrungsmittelindustrie.

Deshalb rasteten und ruhten auch die Food-Engineers der Konkurrenz nicht, bis sie ähnliche großtechnische Meisterleistungen zustande gebracht hatten: Innerhalb kürzester Zeit kreierte die Takeda Food Company, eine Tochtergesellschaft der Tadeka Chemical Industries, „Vitamin Salad“ ohne die Spur eines Salatblattes, dafür mit pulverförmigen Anteilen von getrocknetem Gemüsemais, Kürbis, Kohl, Spinat sowie Karotten, angereichert mit zahlreichen künstlichen Vitaminen. Das bisher neueste Vitaminbiskuit präsentierte die japanische Firma Pola Cosmetic Incorporation mit „Balanced-up“.

Der Trend in Richtung dieser verschiedenen Arten synthetischer, beinahe unbeschränkt haltbarer und ästhetisch gestylter Produkte zeichnet sich in der Nahrungsmittelindustrie seit Jahrzehnten ab: Die Einstiegsdroge war Coca-Cola (Wasser, Zucker, Farbstoff Karamel, Säuerungsmittel E 338, Aroma, Koffein – und sonst nichts). Es folgen die Diätmargarinen – im Grunde Verfälschungsprodukte der Butternachahmung Margarine. Diese Meta-Surrogate waren eine Erfindung nicht aus der Not, sondern aus schierem Überfluß geboren. Sie bestehen aus Farbstoffen, um das Produkt überhaupt als ansehnlich verkaufen zu können, Stabilisatoren, um es zumindest beschränkt gebrauchsfähig zu machen, Aromen, da es ansonsten keinen margarineähnlichen Geruch hätte, und Vitaminen in so geringer Dosierung, das auch bei übermäßigem Verzehr keine Auswirkungen zu erwarten sind.

Ernährungswissenschaftlich sind Diätmargarinen völlig wertlos. Wie andere Light-Produkte sollte sie die Konsumenten nur an chemische Nahrung mit Produkten gewöhnen, die sie in sich hineinstopfen können, ohne dabei vom natürlichen Limit von 4.000 Kalorien für den menschlichen Verzehr allzusehr behindert zu werden. Der nächste Erfolg des Food-Engineering waren Kunstfett-Kreationen, wie Maltrin (aus Maisstärke), Paseli SA (aus Kartoffelstärke), N-Oil aus Tapiokastärke und Nutrifat C (aus einer Mischung verschiedener Stärkeprodukte). Alle diese Kunstfette hatten jedoch noch einen entscheidenden Nachteil: Sie ließen sich nicht hoch erhitzen, eigneten sich also nicht zum Backen, Braten und Fritieren. Erst das vom amerikanischen Konzern Procter & Gamble nach 25jähriger Forschungsarbeit entwickelte Kunstfett Olestra hatte dieses Manko durch Beimengung eines widerstandsfähigen, aber vollkommen unverdaulichen Saccarose- Polyester nicht mehr. Olestra imitiert außerdem auf der Zunge das Gefühl, das sahnig-buttrig-cremige Speisen hervorrufen, und ist absolut kalorienfrei. Da dieses Kunstfett aber von den Darmbakterien nicht abgebaut werden kann, verursachte es Magenkrämpfe und Verdauungsstörungen. Der mit Olestra vermengte menschliche Stuhl müßte nach herkömmlichen Kriterien als Sondermüll behandelt werden, da das Kunstfett auch von Mikroorganismen im Boden nicht abgebaut werden kann. Trotzdem hat Olestra in den USA die Prüfung durch die Food and Drug Administration überstanden und darf dort bereits Kartoffelchips und anderen Fast-food- Snacks beigefügt werden.

Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie gehört mit 1,5 Billionen Dollar Jahresumsatz zu jenen Industriezweigen, in denen die Zentralisierung und Monopolisierung am weitesten fortgeschritten ist. Acht Konzerne – Unilever, Nestlé, BSN, Cadbury, Schweppes, AB, United Biscuits, Hillsdown und San W. Berisdorf – versorgen heute zu 70 Prozent den gesamten europäischen Markt – angefangen von der bei der Geschmacks(ver)bildung ungewöhnlich wichtigen Babynahrung über Kekse und Cornflakes bis hin zur Tiernahrung. Die weltumspannende Strategie der Lebensmittelkonzerne wird dafür sorgen, daß sich „balanced food“, Olestra oder ähnliche Kunstprodukte auch bei uns durchsetzen. Mit den durch massive Werbung bei den Jugendlichen so beliebten (Kunst-)„Energy-drinks“ werden die Verbrauchs- und Geschmacksgewohnheiten in dieser Richtung bereits programmiert. Schon wird in Frankreich ein Multivitaminkuchen „Barre Mémoire“ zur Stärkung der Konzentrationsfähigkeit von Kindern vertrieben ... [Je prefer 'ne Mousse au chocolat. d.sin] Noch ein bißchen „Balanced Food ist ernährungswissenschaftlich wertvoll!“ beigefügt, eine Prise Natürlichkeit drübergestreut und eine Etikette „Nach Großmutters Rezept“ draufgeklebt – schon schmeckt der Plastikbrei.