Kein Persilschein für ostdeutsche Pastoren

■ Sechs Jahre lang hat die Evangelische Kirche in Deutschland ihre Kontakte zur Stasi untersucht. Gestern stellte sie ihren vorläufigen Abschlußbericht in Berlin vor

Berlin (taz) – Die Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sind beichten gegangen. Ein bis zwei Prozent aller PfarrerInnen und Kirchenoberen der DDR standen dauerhaft im Dienst der Stasi. Zu diesem Ergebnis kommt ein EKD-Abschlußbericht nach Überprüfung der ostdeutschen Landeskirchen. Gestern wurde er in Berlin vorgestellt. Die Quote sei für die Kirche „selbstverständlich beschämend“, erklärte Oberkirchenrat Harald Schultze. Sie beweise aber auch, daß frühere „Alarmmeldungen offensichtlich Phantasiezahlen“ gewesen seien.

Tatsächlich weicht die Spitzel- Studie der Kirchenoberen deutlich von dem ab, was 1996 die Gauck- Behörde herausfand. Von den 7.691 kirchlichen Mitarbeitern, die sie zwischen 1994 und 1995 überprüfte, waren immerhin 6,3 Prozent als IM registriert. Geschnüffelt wurde in Jugend- und Ökogruppen, bei Feministinnen und Atomkraftgegnern. Daß mit Hilfe der Seelsorger erpreßt, verhaftet und zum Selbstmord getrieben wurde, leugnet auch die EKD-Studie nicht. Neben solchen „einzelnen Fällen“ habe die Kirche jedoch „insgesamt ihre Souveränität gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gewahrt“.

Ein Persilschein für Pastoren ist das nicht. Denn gerade die fragwürdigen Kandidaten unter den Ost-Geistlichen ließen sich oft gar nicht überprüfen. „Wer stark belastet war und 1990 die Zeichen der Zeit erkannt hat“, weiß Oberkirchenrat Schultze, „ist schleunigst aus dem kirchlichen Dienst ausgetreten.“ Anwälte und Selbständige sind viele ehemalige PfarrerInnen heute. Und – soweit der EKD bekannt – trotz aller Verstrickungen wieder in Lohn und Brot.

Daß nicht mehr Informelle Mitarbeiter festgestellt wurden, hat allerdings noch andere Gründe. So kann die EKD nur diejenigen unter die Lupe nehmen, die ihr noch immer unterstellt sind. Und manchmal auch nur Mitarbeiter, die sich freiwillig äußern. „Verpflichtung zur Dienstverschwiegenheit“ nennt sich die Schweigepflicht, die nicht nur für privates Geflüster bei der Seelsorge gilt. Auch was bei Sitzungen und Konferenzen besprochen wird, gehört nach kirchlichem Verständnis nicht in die Öffentlichkeit. Deshalb haben es einige ostdeutsche Landeskirchen akzeptiert, daß nur überprüft wird, wer sich freiwillig meldet. Im Kirchenbezirk Anhalt wurden so nur drei Leute durchleuchtet. Resultat: eine Amtsenthebung für zwei Jahre, ein Verweis, eine Mißbilligung. Und ein Verzicht auf den Beamtenstatus.

Daß geweihte Staatsdiener und ihre Angehörigen auch dann satte Pensionen beziehen, wenn sie dem MfS zugearbeitet haben, ist trotz laufender Verfahren sicher. Gegen Verstorbene und Hochbetagte wird nicht ermittelt. C. v. Bullion

Kommentar auf Seite 10