Die Farbe Lila

■ ...und die Schmähung „Anthrokunst“kennzeichnen ein Imageproblem der Künstler, die an der Ottersberger Fachhochschule studieren. Dabei weht dort der Geist „berauschender Liberalität“. Der Kunststudienstätte zum 30sten

Am schwarzen Brett hängt ein Zettel „Übernehme Schreibarbeiten“, der ist mit einem Sonnenuntergang im Sinne der Goetheschen Farbenlehre verziert. Daneben bietet „Steffi“einen „Gespensterschrecken für Babys“an. Im Zimmer des Rektors findet man kaum einen rechten Winkel, er selbst kennt das Drittmittel verheißende Kürzel „DFG“nicht (Deutsche Forschungsgemeinschaft). Wenn man den Rektor ärgern will, behauptet man, die Kunst seiner Absolventen aufgrund des Gebrauchs der Farbe Lila als anthroposophische identifizieren zu können. So viel zu den Vorurteilen gegenüber der „Freien Kunst-Studienstätte Ottersberg“, die man jederzeit leicht bestätigt finden kann. Zum dreißigsten Geburtstag der Einrichtung wünscht sich die Leitung, daß die Welt endlich einmal neu hinschaut. Voila!

Man könnte auch so beginnen: Die staatlich anerkannte Fachhochschule für Kunsttherapie und Kunst in Ottersberg darf sich 30 Jahre nach Gründung stolz hinstellen und sagen: Wir sind eine der wenigen Hochschulen im Lande, die wirtschaftlich gesund sind. Wenngleich „auf niedrigem Niveau“, wie der Kurator Albrecht Lampe einräumt. Ein Kurator hieße andernorts Kanzler oder Geschäftsführer (in dieser Eigenschaft hat Lampe auch schon einmal der taz-Bremen aufgeholfen). „Niedriges Niveau“bedeutet: Wer hier lehrt, verdient etwa ein Drittel dessen, was der Kollege an der staatlichen Hochschule bekommt. Vom Hochschullehrer Michael Kohr geht die Rede, daß er jeden Monat sowohl Mutter als auch Schwiegermutter anpumpen muß. „Staatlich anerkannt“dagegen bedeutet, daß der Staat offenbar anerkennt, daß man mit Kunst therapieren kann. Immerhin.

Lampe findet, daß andere Hochschulen, zum Beispiel auch staatliche, die jetzt plötzlich unternehmerisch handeln sollen, ruhig mal nach Ottersberg blicken dürfen. 80 Prozent des Etats kommen aus den Studiengebühren (350 Mark im Monat). Weniger als 10 Prozent schießt der Staat, also Niedersachsen, zu. Der Rest: Spenden. Offizielles „Anthrogeld“fließt nicht, lediglich der Kredit einer anthroposophischen Bank wird noch abgestottert. Neu ist, daß die Ottersberger auch die Forschung vorantreiben wollen (und mit Forschungsgeldern rechnen). Die ersten Projekte heißen „Maltherapie“und „Krebsforschung und Kunsttherapie“.

Die Tatsache, daß sich der einzelne Student meist ziemlich querlegen muß, um die Studiengebühren aufzubringen, scheint einen günstigen Einfluß auf den Studiereifer zu haben. Eine Regelstudienzeit ist hier nicht nötig: Nach vier Jahren (zwölf Trimestern) sind die meisten fertig, 14 Trimester Studium sind selten. Womöglich geschieht auch die Aufnahme eines teuren Studiums bewußter: Die Abbrecherquote ist niedrig – von gut 500 Studenten insgesamt verlassen rund 15 im Jahr die Hochschule unplanmäßig, einige des Geldes wegen. Albrecht Lampe legt allerdings Wert auf die Feststellung, daß es sich nicht etwa um eine Eliteschule handelt: Der Anteil der BAFöG-Empfänger liege etwa doppelt so hoch wie an staatlichen Hochschulen.

Das Gefühl, vom Geld der Studenten zu leben, beschreibt Rektor Hermanus Westendorp als „unangenehm“. Immerhin führt es zu einer beispielhaften Präsenz der Lehrer am Arbeitsplatz. Dazu trage aber auch die intime Atmosphäre einer kleinen Hochschule bei: „Der Professor kann nicht untertauchen.“Ja, die Atmosphäre! Hermanus Westendorp: „Hier ist es nicht egal, was einer macht. Das unterscheidet uns von anderen Hochschulen.“

Wo Wahrnehmungsweisen Gegenstand des Studiums sind, wo die Studenten sich oft bis in die späten Abendstunden in den Ateliers aufhalten, wo ein Mindestmaß an Idealismus Bedingung ist, weil zum Beispiel die Arbeit in der Mensa, bei der Wohnungssuche und der Kinderbetreuung von Freiwilligen geleistet wird, scheint sich ein günstiges soziales Klima zu entwickeln. „Man lebt hier,“sagt der Rektor.

Daß es sich bei der Ottersberger Fachhhochschule heute trotzdem um eine ziemlich „normale“Hochschule mit demokratischen Institutionen wie der Hochschulkonferenz und einem gewählten Rektor, mit nachvollziehbaren Aufnahmekriterien, mit Kulturprogramm und Frauen/Lesben-Referat handelt, ist das Ergebnis einer längeren internen Auseinandersetzung um die Linie der Akademie. Westendorp im Rückblick: „Das war eine Zwangsgemeinschaft.“Die Gründer der Kunst-Studienstätte, das Ehepaar Pütz (Siegfried Pütz war ein alter Bekannter von Rudolf Steiner gewesen) hatten alles fest im Anthro-Griff. Vielleicht war das auch gut so: „So ein Ding bauen Sie nicht demokratisch auf,“vermutet der jetzige Rektor. Doch ohne Öffnung, ohne mehr Liberalität „wären wir als antiquiert eingegangen,“sagt Westendorp.

Und damit wären wir beim liberalen Aushängeschild der Hochschule, der Abteilung Freie Kunst. Hermanus Westendorp spricht hier sogar von „berauschender Liberalität“. Keine Erwähnung der Anthroposophie in den Ausschreibungstexten, mit denen nach Hochschullehrern gesucht wird. Kein Steiner-Zitat im Prospekt, der interessierten Jungkünstlern die Ottersberger Ausbildung zum Diplom-Künstler nahelegt. Es wird versucht, eine anthrofreie Zone im anthroposophischen Haus zu installieren – und das ist nicht ganz leicht. Nicht zuletzt, weil die Umwelt das einfach nicht glauben will.

Um so gereizter reagiert man, wenn Kunstrezensenten in der Zeitung immer wieder nach „Lila“oder anderen Hinweisen auf „Anthrokunst“suchen. Das sei ein Versuch, die Ottersberger Künstler abzuqualifizieren, als „Provinzmaler in die Ecke zu stellen,“schimpft Westendorp. Ein Weltanschau-ungskünstler aber sei „als Künstler tot“. Resultat dieses Imageproblems: Während der angehende Kunsttherapeut ein Jahr lang auf seinen Studienplatz warten muß, ist bei der Freien Kunst immer Platz. Mappe einreichen, Gespräch mit dem Rektor, einen Tag Klausurprüfung – drei Mal im Jahr kann man aufgenommen werden.

Daß Kunst weder im Zusammenhang mit Therapie noch als freie eine brotlose bleiben muß, belegen Befragungen unter Absolventen der Studienstätte aus dem Jahr 1995. Fast 30 Prozent der Absolventen fanden sofort nach dem Studium Arbeit; im Schnitt mußten sie ein halbes Jahr auf einen Job warten. In vielen Fällen muß allerdings der Arbeitsplatz erst erkämpft werden, weil sich der Begriff „Kunsttherapeut“immer noch durchsetzen muß. Für 31 Prozent der Befragten wurden neue Stellen eingerichtet. Ottersbergern begegnet man in Kliniken, Reha-Zentren, Heimen, sozialtherapeutischen und heilpädagogischen Einrichtungen, auf dem Jugendamt, in der Industrie, an (Waldorf-) Schulen und Kindergärten. Noch leben wenige (2,7 Prozent) ausschließlich von der Kunst. Was hoffentlich nicht mit der stets lilasuchenden Journaille zusammenhängt.

Burkhard Straßmann