Kicken gegen das Vergessen

Unter der Schirmherrschaft der Profis Jan Furtok und Jürgen Klinsmann treffen sich in Auschwitz jugendliche Fußballspieler aus Deutschland und Polen  ■ Von Carola Schmitz

Was ihm in Auschwitz am besten gefallen hat? Keine Frage! Für den 16jährigen Abwehrspieler vom FC Rimsingen war das Spiel gegen die Jugendmannschaft von Unia Oswiecim das Beste. „Vor so 'ner Kulisse!“ schwärmt er und denkt an die Zuschauerscharen auf der Tribüne, an den Riesenbeifall beim Einlauf der beiden Jugendmannschaften ins Stadion und an die feierliche Eröffnung des Spiels durch den polnischen Fußballstar Jan Furtok. Schon jetzt fragt sich Martin, ob es dem FC Rimsingen gelingen wird, genauso viele Fans zusammenzutrommeln, wenn die polnischen Kicker im September zum Gegenbesuch nach Breisach kommen.

„Echt super“ findet er außerdem, „wie das mit den Polen geklappt hat, daß wir halt so gut miteinander ausgekommen sind“. Eine deutsch-polnische Fußballbegegnung in Auschwitz? Laut Programm ging es bei dem Treffen der Jugendlichen erst mal ums gegenseitige Kennenlernen, gemeinsames Trainieren und um das Freundschaftsspiel. Beide Mannschaften und ihre Betreuer waren in der internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz untergebracht.

Warum man nicht auch mal ganz einfach einen internationalen Jugendaustausch machen könne, hatte Unia Oswiecim, der Sportverein der Stadt Auschwitz, im letzten Jahr bei der Begegnungsstätte angefragt und damit den Ball ins Rollen gebracht. Werner Nicolai, Trainer beim südbadischen FC Rimsingen, war von der Idee spontan begeistert. Er ist Mitbegründer des Vereins zur Erhaltung der Kinderbaracke Auschwitz-Birkenau e.V. und begleitet seit vier Jahren rechtsextreme oder verhaltensauffällige Jugendliche nach Auschwitz. Durch Restaurationsarbeiten auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers und durch Gespräche mit ehemaligen Häftlingen möchte er die Jugendlichen zum Nachdenken über die nationalsozialistische Vergangenheit anregen. Daraus sollen sie „Für die Zukunft lernen“, so das Motto der Projekte.

Neu am diesjährigen Projekt ist, daß erstmals die sportliche Begegnung und der Austausch zwischen deutschen und polnischen Jugendlichen im Mittelpunkt stehen. Das ermöglicht ihnen, „sich über das Fußballspiel hinaus näherzukommen und sich besser kennenzulernen“, so Jürgen Klinsmann, der zusammen mit dem polnischen Fußballstar Jan Furtok die Schirmherrschaft für das Treffen übernommen hat.

Für Klinsmann ist diese Fußballbegegnung ein „Zeichen gegen das Vergessen wie auch für die Gestaltbarkeit einer besseren Gegenwart und Zukunft“ – gerade weil sie in Auschwitz stattfindet.

Wie weit weg von daheim die polnische Stadt liegt, das spüren die Nachwuchskicker vom FC Rimsingen (B-Jugend) und vom Christopherus-Jugendwerk nach 20 anstrengenden Stunden Busfahrt in ihren Knochen. Doch weicht die Erschöpfung rasch der Neugier auf das bevorstehende Programm.

Nach dem Abendessen und der offiziellen Begrüßung sollen sich die Jungs erst mal kennenlernen. In kleinen Gruppen fragen sie sich gegenseitig nach Name, Alter und Hobby aus, danach stellt jeder Pole einen Deutschen und jeder Deutsche einen Polen vor. Weil keiner der Gäste Polnisch spricht und nur wenige der Polen Deutsch können, hilft ein Dolmetscher. Beim gemeinsamen Training am nächsten Morgen läuft alles viel lockerer. „Einfach super“ findet Stefan, daß da alle zusammen sind, Spaß haben und keiner übersetzen muß. „Auf polnisch kicken ist halt dasselbe wie auf deutsch kicken“, meint er.

Am Abend sind die Jugendlichen bei den Eltern ihrer neuen polnischen Freunde eingeladen. Sie freuen sich darauf, ihre Gastfamilien kennenzulernen, manche sind aber auch ein bißchen unsicher. Boris zum Beispiel wollte erst nicht mit: „Ich dachte, das läuft schief oder gibt Streß.“ Im nachhinein ist es aber bei allen „echt gut“ gewesen. Am folgenden Tag, dem Tag des großen Fußballspiels, haben die Jugendlichen jedenfalls einiges zu erzählen über die Gastfreundschaft der Polen, das leckere Abendessen und ihre Eindrücke vom Leben der Polen. „Die Häuser sind ja eigentlich total die Baracken“, meint Boris, „aber innen dann doch ganz normal eingerichtet, sogar mit Fernseher und Videospielen.“ Auch Christian hat sich vorgestellt, daß die Häuser innen so schlimm aussehen müßten wie von außen – „aber so war's halt net“.

Wirklich enttäuscht darüber, daß die polnischen Kicker von Unia Oswiecim so viel besser waren und mit 6:1 als klare Gewinner aus dem Spiel hervorgingen, ist niemand – im Gegenteil. Wie richtige Stars fühlen sich die deutschen Spieler, von kleinen Fans umringt, alle wollen ein Autogramm.

Dann kommt der Samstag, Thementag mit Besuch des Konzentrationslagers, Zeitzeugengespräch und Reflexion am Abend. Während der Besichtigung der Gedenkstätte wird die Gruppe von Fernsehteams verfolgt, die jede Regung von Betroffenheit in den Gesichtern der Jungs festhalten. „Man muß Auschwitz fühlen, nicht nur hören“, sagt die Frau, die die Jugendlichen fast drei Stunden durch die verschiedenen Blöcke des Stammlagers führt und sie immer wieder vorlesen läßt, was auf den Personalakten, Totenscheinen und Notizen in den Glasvitrinen des Museums steht. Viele sind sichtlich schockiert. Immer wieder murmelt Stefan: „Das ist ja der Hammer.“ Er sieht die Berge von Haarbüscheln, die die Nazis den Frauen nach ihrer Vergasung abgeschnitten haben. Das Gift Zyklon B hat die Haare entfärbt. Er sieht die Unmengen von geraubten Schuhen und Brillen. Auf den Koffern der Ermordeten sind noch deren Namen und Adressen zu lesen. Bei diesem Anblick ist es Stefan längst zuviel: „Das ist was ganz anderes, ob du es nur hörst oder selbst siehst.“

Drei Kilometer vom Stammlager entfernt befindet sich das riesige Gelände des Vernichtungslagers Birkenau. Hier ermordeten die Nazis ab 1942 vier- bis fünftausend Menschen pro Tag in den vier Gaskammern. Die Leichen wurden in Krematorien und auf Scheiterhaufen verbrannt. In jede der über 300 Baracken des Lagers wurden 500 bis 700 Häftlinge gepfercht. Manchmal auch 1.000. „Mann, ganz Oberrimsingen würde hier ja reinpassen!“ sagt plötzlich einer der Jungs.

Am letzten Abend setzen sich die Jugendlichen noch einmal zusammen, um ihre Eindrücke der vergangenen Tage auszutauschen. Sie sind sich einig, daß alle Programmpunkte gleich wichtig waren: das Fußballspiel, der Besuch bei den Familien und das KZ. Lukasz, einer der polnischen Jungen, findet, daß solche Programme unbedingt fortgesetzt werden sollten. „Was passiert ist, war schrecklich und soll sich nicht wiederholen“, meint er, „aber das soll kein Hinderungsgrund sein, unter uns Freundschaft zu schließen.“