„In jeder Imbißstube ein Spion“

Streetbal-Challenges und HipHop-Partys mit den Fantastischen Vier ließen die junge Kölner Agentur Megacult zum Shootingstar der Promotionbranche aufsteigen. Klaus Farin und Christoph Schultheis sprachen mit Gründer Uwe Deese

Farin: Ist Jugend als Zielgruppe nicht längst out? Entdeckt die Industrie nicht gerade das Konsumpotential der über Dreißigjährigen?

Uwe Deese: Ich bin 35, wahrscheinlich ein Berufsjugendlicher wie ihr, mit 25 Spielarten von Rock 'n' Roll groß geworden, und ich habe natürlich auch Eltern, die nicht mehr mit Adolf Hitler, sondern mit Elvis Presley groß geworden sind. Da stellt sich natürlich die Frage, was ist heutzutage noch Jugend? Das Medium Popmusik und seine Satelliten jedenfalls sind nicht mehr nur Jugend. Natürlich haben Achtzehnjährige immer recht, wenn es um Popmusik geht. Fünfzigjährige haben nie recht. Die können dir zwar immer erklären, wo die roots dieser Musik liegen, aber jemand hat mal gesagt: Harte Männer tanzen nicht. Und wir haben hier kein Interesse an harten Männern.

Schultheis: Sondern?

An Verführung, grundsätzlich. Ich finde es spannend, Ideen zu entwickeln und zu verkaufen. Mir geht's da wie dem A-Team: Ich liebe es, wenn ein Plan klappt. „Gibt's denn nichts anderes als Spaß?“ fragten mich Redakteure und Redakteurinnen schon oft genug. Aber wenn ich dann von ihnen andere Vorschläge als nur Spaß erwartet habe, kam da nicht soviel.

Schultheis: Verkauft ihr auch Sinn?

Auf jeden Fall. Ein Großteil unseres Jobs besteht darin, den Marken zu erklären, daß sie sich völlig zurücknehmen müssen, den Konsumenten da draußen etwas zu bieten haben, was völlig losgelöst ist von der Marke. Natürlich kannst du eine Fleischwurstfirma ganz schwierig mit einem Lebensstilgefühl assoziieren.

Schultheis: Wäre das eine spannende Aufgabe für dich?

Eher nicht. Ich komme zwar aus dem Ruhrgebiet, und da hat man früher auch nicht italienische Mittelmeerfische konsumiert, sondern Pannhas, Sülze und Fleischwurst, aber das paßt nicht zu unserem Firmenimage. Fleischwurst ist zwar ein interessantes Grundnahrungsmittel, aber ich möchte die nicht unbedingt mit TripHop assoziieren.

Farin: Ist Jägermeister nicht ein klassisches Beispiel dafür, wie es doch funktionieren kann, ein völlig altmodisches Produkt zum Kultobjekt zu hypen?

Jägermeister hat überhaupt nicht funktioniert. Obwohl sich diese ganzen Strategen bei adidas oder Jägermeister ständig ihre unheimlichen Penetrations- und Kulterfolge auf ihre Fahnen schreiben, hat zum Beispiel Jägermeister nie was dafür getan. Da haben einfach ein paar Jungs in Amerika mal ein altes Jägermeister-T-Shirt angezogen, Soul Asylum hat das für ein Plattencover aufgegriffen, und so ging das los. Und irgendwann stehe ich in einem Laden in Los Angeles, und da sagt so eine Frau zu mir: „Would you like a Jägermeister?“ Ich sage, laß mich damit in Ruhe, den habe ich das erste Mal im Fanbus von Borussia Dortmund zu Fortuna Köln in der Regionalliga West konsumieren müssen, weil ich mit meinem Alten und seiner Fußballgang unterwegs war und die natürlich irgendwann die Jägermeister-Pullen herausholten und den dreizehnjährigen Deese junior gleich mit abfüllen mußten. Und ich stand dann im Südstadion und habe das Klo vollgekotzt. Seitdem brauche ich keinen Jägermeister mehr. Jägermeister war im Grunde eine Fortsetzung dieses Warholschen „Ich mache aus einem Produkt einen Kult“. Mit Jägermeister haben die ersten Leute ihren Spaß betrieben, zunächst die Original-T-Shirts getragen, weil's cool war, dann hat man die Firmen verarscht und die Zeichen verändert, und jetzt trägt man wieder Original-T-Shirts, weil alle anderen Fakes tragen. Im Grunde genommen muß man mit Marken genauso umgehen wie mit Musik, Literatur oder Politik. Man darf Marken einfach nicht ernst nehmen. Das versuchen wir auch den Leuten, die Marken vertreten, einzutrichtern. Das Problem ist nur, daß diese Leute mit 25 von der Uni kommen, die heiligen Hallen eines Konzerns betreten und in dem Moment einfach alles vergessen, was wirklich wichtig ist im Leben. Das nervt mich manchmal, wenn ich als Fünfunddreißigjähriger zehn Jahre Jüngeren erklären muß, daß drei Nächte hintereinander in der Disco rummachen was völlig Normales ist und nicht ein Minoritätending, eine „spitze Zielgruppe“.

Aber wenn man bei Firmen wie Walt Disney arbeitet, da ist der Unterschied zu Scientology nicht groß. Da wirst du irgendwo hingeschickt, auf Schulungen brainwashed bis zum Abwinken, dann kommst du zurück nach Deutschland und mußt diese niedliche, verlogene Walt-Disney-Mär verbreiten.

Farin: Wie schult ihr eure Mitarbeiter und Trendscouts?

Wir haben keine Trendscouts. Wir haben Arbeiter. Trendscouting ist was für Leute, die nicht wissen, was jetzt passiert, und deshalb versuchen, Welten zu kreieren, die übermorgen passieren könnten. Wenn ein Politikredakteur voraussehen kann, was in zwei Monaten in Serbien los sein wird, dann ist das für mich kein Trendscout, sondern jemand, der die Entwicklung verfolgt hat und deshalb wohlinformiert über eine Situation ist. Und das gleiche machen wir. Wenn ihr große Trendgurus sucht, seid ihr bei Megacult falsch. Da müßt ihr zu so Pausenclowns wie Matthias Horx gehen.

Farin: Dessen Trendbüro aber durchaus gefragt zu sein scheint...

Natürlich. Werbung ist ja nichts anderes als Blenden, und deshalb fallen Leute auch leicht auf solche Hochstapler rein. Horx ist ein Schreiber, und kein guter. Der Unterschied zwischen so Trendastrologen und uns ist: Wir arbeiten – die lesen amerikanische Zeitungen. Ich natürlich auch, aber was die nicht kapieren, ist, daß Deutschland eine eigene Identität hat. Es läßt sich nicht jeder Scheiß, der in Amerika gehypt wird, auf deutsche Verhältnisse übertragen. Trends wie früher gibt es sowieso nicht mehr.

Farin: Woher erhältst du denn die Informationen über aktuelle Entwicklungen? Wertest du zum Beispiel wissenschaftliche Studien über jugendliches Konsumverhalten aus?

Nein. An dem Tag, an dem ich mir Informationen über Jugendliche aus universitären Studien holen muß, höre ich auf. Mir sagt ein Song der Back Street Boys mehr über Jugend als jede universitäre Studie. Von uns hat auch niemand ein Diplom, das uns qualifiziert, Markenartiklern etwas über Möglichkeiten, mehr Geld zu verdienen, zu erzählen.

Wichtige Quellen sind für mich die Charts, die Bravo, mein 16jähriger Cousin, meine eigenen Partyerlebnisse. Außerdem haben wir rund tausend Freelancer, aber da sind auch die Leute mitgezählt, die dir vielleicht bei einer unserer Partys eine Zigarette anbieten und dazu drei, vier schlaue Sätze aufsagen. Da wir bundesweit operieren wollen und auch müssen, brauchst du halt in jeder Imbißstube einen Spion.

Schultheis: Wo treibt ihr diese Menschen auf?

Wir sprechen die vor Ort an. Das ist aber kein Ludenprinzip, sondern dieser Job des Promoters ist in unserer orientierungslosen Gesellschaft ein Job mit einem unheimlichen Glam. Ich weiß nicht, ob ich als Zwanzigjähriger durch die Läden gelaufen wäre und für Zigaretten Messages penetriert hätte. So was macht den Leuten heute keine Probleme mehr.

Farin: Wie schafft man es, in einem Land eine praktisch nicht existente Sportart als Jugendkult zu etablieren wie zum Beispiel Streetball, den ihr für adidas promotet habt?

Wir sind damals in Herzogenaurach, einem der häßlichsten Orte der Welt, in die Zentrale von adidas gekommen, und da klärte man uns also über Basketball auf, das sei ein Sport, der hauptsächlich von Schwarzen gespielt wird, und der Schwarze kommt aus dem Ghetto und hat nur zwei Chancen, da herauszukommen: Sportler oder Popstar. Also, die hatten sich das übliche Fake-Bild von Amerika zurechtgezimmert. Von uns wollte man nun, daß wir für ihren Streetball Challenge ein Rahmenprogramm basteln, bei dem, wie sie immer wieder sagten, sowohl HipHop- als auch Rap-Bands auftreten sollten. Wir haben den Leuten gesagt, warum keine Grungerock-, keine Metal-Bands? Nein, das paßt nicht, Basketball kommt aus den Ghettos, und da hört man „Rap und HipHop“. Damals gab's natürlich in Deutschland relativ wenige Ghettos.

Okay, der erste Challenge fand in Hamburg statt, und wir machten uns den Spaß, dort die Band- T-Shirts zu zählen. Von den rund 15.000 Leuten, die da waren, hatten vielleicht fünf T-Shirts mit Niggaz With Attitude drauf und 4.000 mit Henry Rollins, Red Hot Chilli Peppers oder Metallica.

Farin: Trotzdem spielt adidas heute wieder in der ersten Liga...

Aber hast du schon mal jemanden mit einer Streetball Collection durch die Straßen rennen sehen? Wir haben die damals vollgetextet, die sollen das Geld dafür sparen und lieber in ihre Originals investieren. Damals wollte doch jeder wieder Gazelle haben oder die legendäre Samba-Nummer. Nur die gab's nirgendwo. Und es waren dann auch die Originals, die adidas wieder nach oben brachten. Und das nicht, weil irgendeine Agentur die als cool verkauft hat. Wirklich coole Marken wurden immer unfreiwillig zu Kultmarken. Run DMC und diese ganzen HipHopper aus den New Yorker Vororten haben adidas getragen, weil die billiger waren als Nike, weil's adidas- Schuhe und ganze Trainingsanzüge für zwei Dollar im Ausverkauf gab. Das war Armutsschick, nicht ein Fashion-Statement.

Farin: Läßt sich der Erfolg eurer Arbeit eigentlich an Umsatzzahlen ablesen?

Nein. Camel zum Beispiel hat durch die AiRaves und andere Aktivitäten im Techno-Sektor ein besseres Image bei Leuten zwischen 18 und 25 Jahren bekommen, die Marke verkauft aber deshalb nicht mehr. Das funktioniert sowieso nie so einfach. Keiner kündigt sein Konto bei der Sparkasse, wenn bei der Love Parade ein Wagen der Badischen Beamtenbank mitfährt. Dazu gehört wesentlich mehr, zum Beispiel eine grundsätzliche Credibility. Dann mußt du ein wirkliches Bedürfnis der Zielgruppe erfüllen. Zur Zeit scheinen bei den um die Dreißigjährigen Flirtpartys die Wunderwaffe zu sein. Also, wir arbeiten wenig mit sogenannten Superstars oder opinion leaders, sondern versuchen durch niveauvolle Events bleibende Eindrücke zu hinterlassen.

Farin: Wie wichtig ist Musik dabei?

Musik ist der wichtigste Trendscout, den es gibt. Musik reagiert sensibler als alles andere auf gesellschaftliche Veränderungen.

Farin: Warum wurde gerade Techno so populär, eine Musik, die weder generationsübergreifend genießbar ist noch textliche Messages transportiert?

Weil Techno neben Rock 'n' Roll die einzige Musik war, die jemals ganzheitlich präsent war. Techno ist nicht nur Musik, sondern Party, Mode, neue Medien, Lifestyle. Techno hat die Langeweile getötet. Vor Techno liefen Partys irgendwann in der Nacht aus, und man saß mit zwei weiteren Übriggebliebenen rum und spielte Skat, während weiter hinten in der Hütte der Rest besoffen herumlag. Als ich zum erstenmal mittags um zwei auf einer lebendigen Party herumstand und plötzlich merkte, Deese, du bist jetzt schon drei Tage unterwegs, da war für mich klar, daß das wichtig werden wird. Und ich lasse mir auch nicht von irgendwelchen Trenddeppen einreden, daß Techno vorbei ist, nur weil jetzt wirklich jeder kapiert hat, wie die Love Parade funktioniert.

Zum Weiterlesen:

Deese/Hillenbach/Kaiser/Michatsch (Hrsg.): „Jugend und Jugendmacher. Das wahre Leben in den Szenen der Neunziger“. Metropolitan, Düsseldorf/München 1996, 251 Seiten, 29,80DM

33 AutorInnen, darunter Helmut Ahrens von „Eve & Rave“, Dieter Gorny von Viva, Dieter Meier von Yello, „Barbarella“ Heike Melba- Fendel, „Spex“-Redakteur Ralf Niemczyk, Fanta 4-Smudo und Modeproduzentin Britta Steilmann, beschreiben ihre Marketingstrategien und analysieren aktuelle Jugendszenen und –stile. Ein informativer Blick hinter die Kulissen der MacherInnen. kf