Die Blicke der Zukunft

■ Mit fernöstlichen Fantasiewelten und dunklem, sparsamem HipHop funktioniert der Wu-Tang Clan gegen alle Regeln des Musikgeschäfts

Seitdem das gelbe „W“die Wände der Stadt bestimmt und das Thema Wu-Tang Clan die Musikpresse gleichschaltet, häuft sich eine Frage in meinem Bekanntenkreis. Warum, möchte man wissen und meint damit: Was ist besonderes an dieser Gruppe, an dieser Musik, da sie von Spiegel bis Spex, von HipHop-Szene über Intellektuellenkreise bis zum Mainstream alle fasziniert? Oft begehrt dann der Fan in mir auf und möchte solch unsensible Ignoranz mit einem verächtlichen Schnaufen abtun.

Doch jedesmal obsiegt journalistisches Ethos und wiegt das heilige Wort sorgsam in seinem Schoß. Ja, warum? Warum übt die Superhelden-Thematik in Kombination mit ostasiatischer Kampfkunst eine große Anziehung aus? Warum ist es cool, sich mit einem Emblem zu schmücken, daß genauso plakativ ist wie das Batman-Logo, aber viel mehr Underground transportiert? Warum ist es in Zeiten der totalen Steuerung, der Einkaufspassagen, Multiplex-Kinos, Freizeitparks, in Zeiten von vorprogrammierten Single-Album-Tour-Abläufen, Viva, MTV, Airplay, Remix, Coverversion einfach nur geil, zu sehen, wie etwas vollkommen ohne, oder besser, gegen diese Fernsteuerung explodiert? Wie Touren zusammenbrechen, Künstler jahrelang spurlos verschwinden, Alben immer wieder verschoben werden? Wie Menschen hysterische Welteroberungspläne formulieren und einfach machen, was sie wollen? Wie ein Clan, eine Gang, eine Gruppe von neun unterschiedlichen Selbstdarstellern nach innen und außen funktioniert?

In diesen Clan aufgenommen zu werden, dürfte zur Zeit der Traum eines Großteils der männlichen Jugend dieser Welt sein. Doch da das nicht geschehen wird, kaufen sie wenigstens die Platte oder kratzen die Plakate von den Wänden. Auch da ist Wu drin, und Wu ist real, echt. Und sollte unter uns Älteren jemand sein, der diesem wilden Kosmos völlig ungerührt gegenübersteht, so möge die Musik sprechen. Denn gerade hier müssen sich Menschen, die das Besondere nicht erkennen, als kulturell indifferent outen.

So, wie seit einer Clan- und fünf Solo-Platten und ganz besonders auf der neuen Doppel-CD Wu-Tang Forever mit Beats, Loops und Samples gearbeitet wird, gibt es kaum Entsprechungen. Dunkle, sparsame Schönheit spricht daraus und fügt sich mit den Stimmen der neun Rapper zu immer wieder neuen Definitionen von poetischem Hardcore. Es ist RZA, der alles regelt, alles produziert, der manisch-hysterische Ol' Dirty Bastard, die kraftvoll-solide Einheit von Raekwon und Ghostface Killah, der coole Frauenschwarm Method Man, Genius, der geheimnisvolle Schachspieler, und die drei Unbekannten U-God, Inspectah Deck und Masta Killa, die im nächsten halben Jahr debutieren werden.

Es ist ein Kaleidoskop von größenwahnsinnigen, geistig mehr oder minder verwirrten, mit Pose und Entertainment geseg-neten HipHop-Stars. Sie haben ihrer Kultur ein drittes Modell gegeben, eine mythenreiches, spannendes Bild von Zukunft. Sie sind anders. Sie sind ein Ereignis. Und jedes Quentchen Ruhm wird ihnen zu Recht zuteil.

Holger in't Veld Do, 19. Juni, 21 Uhr, Große Freiheit