„Alternative zur Frührente“

Arbeit für Süchtige: Eine Beschäftigungs-Agentur soll vermitteln und neue Jobs schaffen. Jugendhilfe sieht darin „Diffamierung“  ■ Von Silke Mertins

Mindestens 100 Mark braucht ein Junkie am Tag. Kokser können locker auf 400 Mark kommen. Alkohol-Abhängige haben's erheblich billiger. Und ein Heroin-Substituierter bekommt den Stoff vom Staat. Dennoch haben alle eines gemeinsam: Sie sind meist ohne Arbeit, Geld und Lebensperspektive.

Abhilfe soll nun her. Von der breiten Palette der Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem zweiten Arbeitsmarkt will Hamburgs Drogenbeauftragter Horst Bossong 100 bis 200 Stellen für Süchtige reservieren. Zwar seien die Maßnahmen schon jetzt „offen für jeden“. Aber, von Ausnahmen abgesehen, „haben Drogenabhängige keine Chance“.

Anfang Juli sollen DrogenberaterInnen an einem „Coaching“teilnehmen. Bossong verspricht sich von der Informationsvernetzung, daß „Süchtige nicht mehr außen vor bleiben“. Die Angebote werden sowohl feste Stellen wie auch niedrigschwellige Beschäftigung umfassen und in die bestehenden Einrichtungen integriert.

Darüber hinaus will Bossong „neue Wege eröffnen“. Die Träger Jugend hilft Jugend und die Landesstelle gegen die Suchtgefahren haben bereits Interesse bekundet, neue Jobs zu akquirieren und eine „Agentur“aufzubauen. Es gebe beispielsweise so viele Firmenparkplätze in der Stadt, so Bossong. Junkies könnten doch auf die Wagen aufpassen, die Arbeitgeber bekämen einen Lohnkostenzuschuß. Zu einer Teilzeitarbeit seien fast alle in der Lage und auch willens. „Es kann doch nicht sein, daß ein Alkoholiker nach der Therapie keine Perspektive hat. Es muß Alternativen zur Frührente geben.“

Eine Drei-Stunden-Arbeit oder ein „Tagelöhner“-Job wird bei Koks oder Heroin allerdings kaum die Beschaffungskriminaltiät ersetzen können. Mit seinem Konzept wolle er nicht „illegalen Drogenhandel finanzieren“, sagt Bossong. Beschäftigung sei vielmehr „eine Chance aus dem Bahnhofsviertel-Elend rauszukommen“.

Als „Option“will der Drogenbeauftragte die Jobangebote verstanden wissen. Doch Christine Tügel von dem Trägerverein Jugendhilfe, zu dem die Einrichtungen Freiraum (Fixerstuben) und DrobInn gehören, wirft ihm Rechtslastigkeit vor. In einem Brief an Gesundheitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD) heißt es: „Die Diffamierung von Drogenabhängigen als sinngemäß ,Arbeitsscheue' und ,Kriminelle' reiht sich in den Diskurs rechter Parteien ein und bereitet den Boden für öffentliche Schmähungen gegen Randständige in dieser Stadt.“Zudem sei Unterstützung bei der Arbeitssuche bereits im Beratungsangebot.

Tügel verlangt, Bossong durch einen „kompetenten Verhandlungspartner“zu ersetzen. In der Welt am Sonntag hatte der kürzlich gedroht, die Mittel jener Einrichtungen zu kürzen, die sich Kontrolle und Dokumentation ihrer Arbeit widersetzen. Manche Einrichtung, hieß es dort, hätten „den Ausstieg aus der Sucht“aus den Augen verloren, würden ihr Klientel „in Watte packen“und „bequeme Sitzkisten hinterhertragen“. Bossong beeindruckte die neuerliche Kritik nicht: „Die Träger, die die Modernisierung nicht mitmachen wollen, müssen sich warm anziehen.“