„Die Betreuer lassen uns im Stich!“

■ Zwei psychisch kranke Menschen im betreuten Wohnen wollen ihre Probleme publik machen. Ein kleines Besuchsprotokoll

„Was soll ich tun, wenn Frau S. (alle Namen geändert) Angst vor Messern hat?“Jürgen P. erzählt, er selbst habe ein Magersuchtsproblem und versuche, ein normales Verhältnis zum Essen und Kochen zu entwickeln. Dazu gehöre für ihn, Haushaltsutensilien in der Küche griffbereit zu arrangieren. Also auch Messer. Regine S. fühlt sich nach zahlreichen Gewalterfahrungen grundsätzlich beim Anblick jedes potentiellen Tatwerkzeugs bedroht. „Die Betreuer konnten uns keinen Tip geben, wie wir uns da einrichten sollen“, klagt Jürgen P. – Sein Messerblock steht derzeit oben auf dem gemeinsamen Küchenbord, weithin sichtbar.

Regine S. und Jürgen P. sind als psychisch krank diagnostiziert und leben in einer betreuten Wohngemeinschaft, Träger ist der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Aufgelöst sitzen die beiden nun zu Hause am Küchentisch. „Die Betreuer lassen uns im Stich und wir wollen, daß das öffentlich wird!“

Betreutes Wohnen ist Bestandteil der vor 17 Jahren beschlossenen Bremer Psychiatriereform – weg von rein stationärer hin zu mehr ambulanter Versorgung psychisch kranker Menschen. 1980 kam dieses Angebot neun BremerInnen zugute. Der letzte Psychiatriebericht der Sozialbehörde von '95 zählte bereits 365 Plätze, davon 72 in der Obhut des ASB.

Regine S. bekommt täglich eine Stunde Betreuungsbesuch, Jürgen P. zweimal die Woche. Eigentlich wohnen die beiden in einer 4er-WG, doch seit einigen Wochen herrscht offenes Chaos in dem Haushalt. Die dritte Mitbewohnerin ist umgezogen; der vierte Mitmieter vorübergehend im Krankenhaus in der Akutpsychiatrie. Jürgen P. sagt, er werde sich zu Tode hungern, wenn nicht bald etwas passiere. Regine S. zieht sich meist verstört in ihr Zehn-Quadratmeter-Zimmer zurück. „Kein Krisendienst reagiert, wenn wir uns gegenseitig bedrohen und Hilfe rufen.“– „Das Schreckliche ist, daß die Betreuer immer warten, bis es eskaliert.“So reiht sich ein Vorwurf an den anderen.

Die Hilflosigkeit der beiden enzündet sich an denjenigen, die ihnen als Helfende zugedacht sind. „Wir sind psychisch krank, natürlich rasten wir aus. Aber wir haben auch Anspruch darauf, daß wir geschützt werden“, sagt Jürgen P.

Horroranekdoten spuken den beiden zuhauf in den Köpfen: „In der betreuten WG unter uns lebt ein Mensch, der Stimmen hört. Der nahm ein Messer und beschimpfte seine drei Mitbewohnerinnen als imaginäre Schlampen. Eine Woche später erst wurde ihm das Messer abgenommen! Oder jetzt, der Hausbrand im Viertel! Das kann uns genauso treffen! Wir wissen doch manchmal nicht, was wir tun. Bei einem Feuer kommen wir aber nicht raus, unter Medikamenten sowieso nicht.“Durch die Fenster in der Dachschräge gebe es kein Entkommen, die sind zu klein. Die Fensterglaswand zum Garten hin wurde abgeriegelt, da ein anderer Hausbewohner suizidgefährdet ist. Jürgen P.: „Ich habe vorgeschlagen, anstatt die Fenster abzusperren, unten ein Fangnetz zu spannen. Keine Reaktion.“

Diese Anregung sei ihm so nicht bekannt, sagt dazu Wolfgang Rust; er leitet beim ASB die Abteilung Hilfen für psychisch kranke Menschen. „Die Probleme hatten wir bisher so nicht gesehen. Aber wir sind ja lernfähig.“Rust betont, er wolle nichts beschönigen. Aber es sei ihm wichtig, auch die MitarbeiterInnen beim ASB zu verteidigen, für die er stellvertretend spreche. Sie seien hoch belastet und stünden durch die knapp bemessenen Betreuungszeiten oft immens unter Zeitdruck. Mit dem Betreuer, der auf dem Freimarkt vor den Augen der alkoholkranken WG-Mitbewohner sein Bier trank, habe er, Rust, gesprochen. „Er vermeidet das jetzt.“

Klar sei jedoch die Regelung, noch nicht zu intervenieren, „wenn jemand sagt, er bringt jemanden um.“Man versuche stattdessen alles, die Menschen dann zum Arzbesuch t zu bewegen oder dazu, ihre Medikamente zu schlucken oder freiwillig ins Krankenhaus zu gehen. „Da stecken auch wir mit unserem reinen Betreuungsauftrag in einer Hilflosigkeit“, so Rust. sip