Es werde Finsternis

Kickers Offenbach steigt in die Regionalliga auf, der FC Memmingen fühlt sich massiv betrogen  ■ Von Klaus Wittmann

Stuttgart (taz) – Am Ende sind es die Szenen eines ganz großen Spiels. Die Offenbacher Vereinshymne aus den Lautsprechern des Stuttgarter Neckarstadions peitscht die Fans der Sieger so richtig auf. Jubelnde Kickers-Anhänger liegen sich in den Armen, und auch Ehrengast Andreas Möller auf der Offenbacher Tribünenseite darf sich freuen. Ein paar Meter entfernt ist gerade eine Welt zusammengebrochen. Die Spieler in den dunkelblauen Trikots, die den größten Erfolg in der 90jährigen Vereinsgeschichte des FC Memmingen schon so gut wie sicher hatten, liegen nach der 0:2-Niederlage frustriert, zum Teil weinend auf Bobics und Elbers Bundesligarasen. Der Blick in die Fankurve der Kickers-Anhänger läßt für Sekunden vergessen, daß die Nobelarena 90 Minuten lang wie ein Geisterstadion wirkte. Gerade mal 4.000 Zuschauer hatten sich im Stadion verloren, 500 davon aus dem Allgäu.

Das Polizeiaufgebot und die Sicherheitsvorkehrungen hingegen hätten eher auf ein hochkarätiges Länderspiel schließen lassen. Und das hat seinen Grund. „Wir haben das Spiel nicht heute abend verloren, sondern am vergangenen Freitag“, meinte am Ende verbittert ein Memminger Fan und läßt ahnen, daß es sich bei diesem Aufstiegsspiel zur Regionalliga Süd zwischen dem Oberliga-Zweiten Kickers Offenbach und dem Bayernliga-Zweiten FC Memmingen nicht um ein gewöhnliches Fußballmatch gehandelt hat. „Das Spiel hat Offenbach verdient gewonnen, heute. Aber wir sind doch schon zuvor beschissen worden ohne Ende“, kommentiert verbittert ein Vereins-Urgestein.

Gemeint ist das eigentliche Aufstiegsspiel am vergangenen Freitag. Da hatte der FC Memmingen auf „neutralem“ Platz in Mannheim, als die reguläre Spielzeit abgelaufen war, mit 3:2 geführt. Der Schiedsrichter signalisierte seinem Assistenten „noch zwei Minuten“, da gingen plötzlich im Stadion die Lichter aus. Hauptsicherungsdefekt, sollte es später heißen. Die Stimmung drohte zu eskalieren. Knapp 10.000 Offenbacher Fans (offizielle Angaben: 5.600) drohten die Absperrgitter einzureißen. Ein Einsatzleiter der Polizei sagt dem Memminger Vorstandsmitglied Werner Häring, „daß das Spiel sicher nicht mehr angepfiffen werde, weil die Offenbacher Fans dann das Spielfeld stürmen würden“. Beschiß und Schiebung witterten die Allgäuer, und sie sollten in ihrer Empörung noch bestärkt werden.

Die Verantwortlichen in Mannheim schafften es nicht, die Sicherungen auszuwechseln und die Flutlichtanlage in Gang zu bekommen. Die Partie wurde schließlich abgebrochen, die Spieler zogen sich um. Kaum war das geschehen, ging das Flutlicht an. Die Memminger wollten es nicht wahrhaben, denn bei einem Flutlichtausfall sehen die DFB-Statuten absurderweise vor, daß das komplette Spiel wiederholt wird. In anderen Ländern besteht dagegen durchaus die Möglichkeit, lediglich die fehlende Spielzeit nachzuholen – in diesem Fall zwei Minuten. „Hier macht man doch einen kleinen Verein kurzerhand fertig, weil die Mannheimer nächstes Jahr mit den Offenbachern in einer Liga spielen wollen und sich dadurch ganz erhebliche Einnahmen versprechen“, wetterte am Morgen danach ein langjähriges FC-Mitglied im Vereinsheim.

Grund für schlimme Mutmaßungen gab es durchaus. Ein Memminger Sportreporter hatte ein Gespräch zwischen zwei Technikern der Mannheimer Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mitbekommen: „Ich hab' gehört, wie der eine Techniker zum anderen gesagt hat, ich bin gar nicht ins Stadion reingekommen, weil mich die Ordner nicht reingelassen haben. Sie haben gesagt, das Spiel wird eh wiederholt.“ Also eine vorsätzliche Behinderung der Reparaturarbeiten, wie der FCM es auch schriftlich ans Sportgericht meldete? Der Sprecher der Mannheimer Versorgungsgesellschaft, Heinz Egermann, bestätigte genau diese Darstellung. „Herr Mai wurde durch Ordner am Betreten des Stadions gehindert“, heißt es in einem schriftlichen Bericht über den Versuch eines Technikers, den Schaden zu beheben. Nachdem ein zweiter Techniker eingetroffen war, kamen sie dann durch einen Nebeneingang doch ins Stadion. Zu spät freilich, denn als die Flutlichtanlage wieder ging, war das Spiel bereits abgebrochen.

Zunächst schien es so, als würden diese merkwürdigen Umstände, in Memmingen war längst von Sabotage die Rede, doch noch dazu führen, daß das in der Nachspielzeit abgebrochene Spiel für Memmingen gewertet wird. Das Sportgericht hob den am Montag morgen gefällten Spruch, daß das Spiel wiederholt werden muß, auf. Am Montag abend dann die endgültige Entscheidung: Die Partie, für die der Hessische Rundfunk bereits eine Live-Übertragung im Fernsehen angemeldet hatte, muß Dienstag in Stuttgart wiederholt werden! Den Nachweis, daß das Flutlicht sabotiert wurde, hätten die Memminger nicht erbringen können, meinte trotz aller vorgelegten Unterlagen der Geschäftsführer des Süddeutschen Fußball- Verbandes, Hans Scheurer.

„Wir werden behandelt wie ein Provinzverein, und wenn es nicht so traurig wäre, würde ich sagen, das ist ein schlechter Witz“, kommentierte der Spielausschußvorsitzende Kurt Kramer die Entscheidung des Sportgerichts, dessen drei Mitglieder telefonisch getagt hatten. „Das, was da abgegangen ist, hat mit Fußball nichts mehr zu tun. Die Spieler sind ganz klar betrogen worden, und für unsere jungen Fußballer wird es kaum zu verstehen sein, daß wir ihnen immer Fairneß und Sportlichkeit predigen und dann von oben herab ein kleiner Verein einfach kaltgestellt wird, obwohl er es sportlich schon geschafft hatte“, ärgerte sich Vorstandsmitglied und C-Jugend-Trainer Otto Grießemer.

Es half alles nichts, auch nicht, daß die Memminger Spielerfrauen sich extra T-Shirts hatten drucken lassen mit der Aufschrift „3:2 – FCM heute sogar mit Notbeleuchtung!“ Beim Wiederholungsspiel war, wie es ein Spielbeobachter aus Ulm formuliert hatte, „der Fußballgott nicht bei den Memmingern“, die nun also doch nicht, wie erhofft, ihre Derbys gegen 1860- Amateure, Bayern-Amateure, Augsburg und Ulm bekommen.