Der Neo-Adenauer-Stil

Für Action zu moralpusselig, für Godard zu doof: Der deutsche Film wird immer Eichinger. Heute startet schon der fünfte von ihm produzierte „German Classic“, Peter Bringmanns launiger „Die drei Mädels von der Tankstelle“  ■ Von Georg Seeßlen

Er trägt Turnschuhe und weiße Sackos, das machen sie gern, die Münchner, und er produziert Filme, die vor allem großartig und teuer sind. Bernd Eichinger kreierte den Erfolgsfilm für Europa aus Deutschland, den Konsensfilm für Leute, die für Actionfilme zu moralpusselig und für Godard zu doof sind. Das wäre eigentlich so egal wie die Bestsellerlisten im Spiegel, hätte es Eichinger nicht verstanden, die deutsche Filmkultur mit den Phantasmen von Glamour, Kommerz und „Durchinszenierung“ zu infizieren.

Die Versöhnung mit Papas Kino

Bernd Eichinger begleitete die deutsche Kinogeschichte vom Ende dessen, was man den „neuen deutschen Film“ hat nennen dürfen, bis zur Konsenskultur des neuen deutschen Spießertums. Er studierte an der Münchner Filmhochschule, verfaßte dort ein paar Fernseh-Scripts und arbeitete nach seinem Abschluß als Produktionsleiter für amerikanische Produktionen. 1974 gründete er die Solaris Film, die Projekte von Wim Wenders, Wolfgang Petersen, Hans Jürgen Syberberg und Maximilian Schell herstellte. 1979 wurde er Mitinhaber und Leiter der Constantin Film, ein Signal für eine Versöhnung des alten und des neuen deutschen Films. Jedenfalls die kommerziell erfolgreiche Revertikalisierung der Filmindustrie.

Eichinger bewies ein Gespür für Stoffe, die in der Schnittmenge von mainstreamkompatiblem Anspruch und kommerziellem Impakt lagen. Der erste richtige Erfolg war „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (1981) und gab das Modell vor: Das Kino sollte Stoffe nicht entwickeln, sondern nur in finale Form gießen, was im Medienzirkus bereits allgegenwärtig ist. Der Eichinger-Stil brachte seine Meisterstücke mit Jean-Jacques Annauds „Der Name der Rose“ (1986) und mit „Die unendliche Geschichte“ (1984) von Wolfgang Petersen hervor.

Vor Eichinger war der deutsche Film, sieht man einmal vom gelegentlichen Zusammenwirken von Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder mit Altproduzenten wie Luggi Waldleitner ab, kommerziell auf dem Niveau liebenswerter Amateure. Eichinger, der nur allzu gern auch in seiner Selbstdarstellung die Rolle des Produzenten alten Schlages spielte, machte aus dem deutschen Film, mit einem Teil davon, der nach Europa und Amerika auszustrahlen hatte, wieder ein ökonomisches Unternehmen. „Doris [Dörrie] reicht es, in Schwabing bekannt zu sein, mich soll die ganze Welt kennen“, verkündete er, und das war nicht nur diese Münchner Selbstfeier, sondern auch ein mißverständliches Programm für den deutschen Film. Mit der Rekordsumme von 60 Millionen Dollar Produktionskosten handelte „Die unendliche Geschichte“ von nichts anderem als von diesem Wunsch. So steht Eichinger am Beginn eines neuen deutschen Zutatenkinos; es ist ein Produzentenkino, dessen Regisseure es, wie Petersen und Uli Edel, als Sprungbrett nach Hollywood benutzen, in dem listig und zäh die Restauration der alten deutschen Kinotraditionen betrieben wird.

Aber sowenig eine Kinokultur auf ewig dilettieren kann, so wenig kann diese Erfolgsformel des mehr oder weniger geschmackvollen Kannibalisierens auf Dauer funktionieren. Spätestens mit „Das Geisterhaus“ (1993) hatte sich herausgestellt, daß Bestsellerverfilmung + renommierter Regisseur + gehobene Production Values + internationale Stars + deutsche Planung unterm Strich vor allem gepflegte Langeweile ergaben. Da besann sich Eichinger, daß man seine Arbeiten eh schon als Rückkehr zu Papas Kino, als „Neo-Adenauer-Stil“ gerügt hatte, und machte sich mit Hilfe des Fernsehens an die Remakes großer Erfolge der Wirtschaftswunderfilme. „Das Mädchen Rosemarie“, „Es geschah am hellichten Tag“, „Die Halbstarken“, „Charleys Tante“ natürlich und schließlich sogar „Die Drei von der Tankstelle“ mit dem vorhersehbaren Twist, die Hauptrollen weiblich zu besetzen. „Die drei Mädels von der Tankstelle“ – das ist ein Programm gegen den Frust der Arbeitslosigkeit, wie es sich die Ufa und der BDM nicht besser hätten ausdenken können. Aber mit hippem Soundtrack. Und mit Wigald Boning, der aus Versehen die Wahrheit daherblödelt, wenn er behauptet, der Film sei unterschwellige Werbung für die FDP.

„Rechte Kultur“ – ohne ihn eine Schimäre

Bernd Eichinger, der sich in Dietls „Rossini“ genußvoll von Heiner Lauterbach karikieren lassen kann, ist in Werk und Selbstdarstellung eine Art Prophet des Neoliberalismus. „Rechte Kulturpolitik“ wäre ohne ihn eine Schimäre. Durch ihn kam ein neuer Ton in die kulturpolitische Szene, die sich nach Kräften bemühte, ihre Erbschaft aus den siebziger Jahren zwanglos über Bord gehen zu lassen. Eichinger – das hieß ein System der Abhängigkeiten und der Konkurrenzen an die Stelle der – zugegeben naiven – Vorstellungen von Solidarität.

So konnte man Eichingers Wirken zuerst einmal wie einen „frischen Wind“ begrüßen, er schlachtete ein paar heilige Kühe, er setzte sich über die Verschnarchtheiten und Tabus der Szene hinweg, und er ließ die Leute von großartigen alten Zeiten des Kinos träumen, wo Produzenten noch so richtig fies und spleenig und dann wieder treuherzig und filmverrückt sein mußten. Und davon, daß Kino Spaß machen sollte. Wenn seine Schuhe schmutzig sind, verkündete Bernd Eichinger im Fernsehen, kauft er sich ein paar neue. Aber Geld braucht er natürlich nur, um „Dinge zu bewegen“. Es war die flotteste Versöhnung von Kapital und Kultur seit der Verbindung von Marlboro und David Bowie.

Eichinger steht ganz gewiß nicht nur für eine Produzentenstrategie, sondern auch für einen eigenen Stil. Er verlangte die „durchinszenierten“ Szenen, das heißt, statt zum Beispiel eine bestimmte Szene in einer einzigen Einstellung zu drehen, was zugleich preisgünstig ist und relativ direkt und fragmentarisch wirken mag, wurde sie in Eichinger-Filmen, gleichgültig, wer der Regisseur war, aufgelöst in bis zu einem Dutzend Einstellungen. Natürlich wird ein Film dadurch nicht nur teurer, sondern auch emotional mitreißender, „glaubwürdiger“ und „größer“. Aber gleichzeitig werden die Filme damit auch einfallsloser, konventioneller, mehr erlebt als gedacht. Eichinger-Filme schmieren dem Zuschauer sozusagen die Bilder nur so um die Augen, jede Szene ist so aufgelöst, daß sie nur ja nicht die allgemeine Stimmung eines widerspruchslosen Wohlbefindens stört.

Als hätte es RWF nie gegeben

Auf die Frage, wie man Produzent wird, antwortete Bernd Eichinger einst, „indem man nicht Regisseur wird“. Aber als er mit seinen „German Classics“ den Weg zurück in die fünfziger Jahre beschritt, ergriff er doch die Regie, natürlich für „Das Mädchen Rosemarie“. Was Eichinger in diesem Film gelingt, ist nicht nur eine Verlogenheit dritten Grades („Ich lasse Rosemarie das Recht auf ihre Glücksvorstellungen“), sondern auch die Übermalung der deutschen Filmgeschichte. Eichinger filmt, als gelte es zu beweisen, daß ein Regisseur mit dem Namen Rainer Werner Fassbinder nie gelebt hat.

Die Eichinger Stock Company, mit Regisseuren wie Söhnke Wortmann und Nico Hoffmann bis zu Til Schweiger, Heiner Lauterbach oder Katja Flint, macht offensichtlich gern die Bewegung zum etwas teureren Fernsehen mit. Wenn es mit der internationalen Karriere nichts wird, hat man im nationalen Muff immer noch sein Auskommen. Die Pläne Eichingers für Sat.1 lesen sich entsprechend: Eine Sitcom mit Tom Gerhard, ein Dreiteiler nach – boa ey! – Hera Linds Roman „Die Zauberfrau“ und natürlich die Fortsetzung der „German Classics“.

Der lange Marsch von Bernd Eichinger und den Seinen in die Senderanstalten und in die nationale Regression ist nur folgerichtig. Denn das deutsche Kino ist längst eichingerisiert, ja, es übereichingert unseren Turnschuhproduzenten bereits. Schon versuchen die Amerikaner von Buena Vista, sich auch auf dem Markt deutscher Filme an der Neuen Constantin vorbeizudrängen. Schon gelangen die ersten deutschen Regisseure ohne Eichinger nach Hollywood. Schon gelangen die verbliebenen halbwegs interessanten deutschen Filme gar nicht mehr in die Kinos. Schon entläßt die Münchner Filmhochschule keine Studentinnen und Studenten mehr ohne Eichinger-Test. Und schon fangen wir verrückten Feuilletonschreiber an, der Eichinger-Ära melancholisch nachzusehen.

Damals konnten die Produzenten langweiliger Filme wenigstens noch so tun, als wären sie knallharte und besessene Einzelgänger. Ja, damals.

„Die drei Mädels von der Tankstelle“. Regie: Peter F. Bringmann. Mit Wigald Boning, Franka Potente u.a. Prod.: Bernd Eichinger. Deutschland 1997