In Bonn beginnt der große Ausverkauf

Keine Einigung im Streit um die Steuerreform. Die Bundesregierung will die Postbank verkaufen. Der CDU-Wirtschaftsrat fordert Kürzungen beim Arbeitslosengeld  ■ Aus Bonn Markus Franz und Bettina Gaus

Die Bonner Koalition hat sich wieder nicht über Lösungen zur Beilegung der Haushaltskrise einigen können. Erkennbare Fortschritte wurden bei dem gestrigen Spitzengespräch der Koalitionen nicht bekannt. Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble bekräftigte sein Vorhaben, Steuervergünstigungen schon 1998 zu streichen, Entlastungen aber erst 1999 vorzusehen. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt sprach sich dagegen aus, die Steuerreform mit der Bewältigung aktueller Haushaltsprobleme zu vermischen. Optimistisch zeigt sich FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle. Gegenüber der taz sagte er: „Sie werden sehen, es wird eine echte Steuersenkung ab 1998 geben.“

Derweil versucht die Bundesregierung, weitere Milliarden lockerzumachen. So soll die im Bundesbesitz befindliche Postbank nicht wie geplant 1997 an die Börse gehen, sondern vorübergehend an die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verkauft werden. Durch diese „Parklösung“ könne gesichert werden, daß der Bundeshaushalt noch 1997 etwa drei Milliarden Mark für die Postbank erhalte. Für einen Börsengang, so glauben Experten, sei es schon zu spät. Die KfW ist nach den Worten ihres Vorstandssprechers Gert Vogt in der Lage, noch in diesem Jahr Bundesbeteiligungen in Höhe von etwa 25 Milliarden Mark zu übernehmen.

Eine rigorose Sparpolitik möchte der Wirtschaftsrat der CDU der Koalition verschreiben. Die Unternehmervereinigung, in der große Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen vertreten sind, forderte gestern die Regierung auf, zusätzlich 125 Milliarden Mark zu erwirtschaften. Dadurch solle die Staatsquote von derzeit über 50 Prozent bis zum Jahr 2000 auf 46 Prozent gesenkt werden.

Der Vorsitzende Dieter Murmann lehnte die Pläne der Union ab, Steuerbelastungen im Jahr 1998 vorzuziehen. Er glaube nicht, daß die Regierung einen solchen Fehler begehen würde, sagte Murmann. Der Wirtschaftsrat halte am Ziel einer steuerlichen Nettoentlastung von 30 Milliarden Mark fest. Als Sparvorschläge nannte Murmann: Kürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit im Volumen von acht Milliarden Mark, den Abbau von 600 000 Stellen im öffentlichen Dienst, die Kappung von Subventionen für Landwirte und im sozialen Wohnungsbau, Einsparungen von 25 Milliarden Mark bei den Leistungen der Krankenkassen sowie ein Vorziehen der ersten Stufe der Rentenreform auf 1998. Im einzelnen erläuterte Murmann: Für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen solle nur noch eine Förderpauschale gezahlt werden, die zehn Prozent über dem jeweiligen Arbeitslosengeld liegt. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes müsse auch für Ältere auf zwölf Monate verringert werden.

Nach der SPD haben nun auch die Fraktionschefs der Bündnisgrünen, Kerstin Müller und Joschka Fischer, vorgezogene Neuwahlen gefordert. Die Koalition agiere „wie von einem tollwütigen Affen gebissen“, erklärte Fischer. Spöttisch sagte er: „Es ist die Frage, wann demnächst die Bundeswehr verkauft und zurückgeleast wird.“ Man könne ja auch noch das Bundeskanzleramt an ausländische Investoren verkaufen und Kohl als Untermieter einziehen lassen. Kerstin Müller warnte die SPD davor, dem von der Union derzeit beabsichtigten Teileinstieg in die Steuerreform 1998 im Bundesrat zuzustimmen und damit der Regierung aus der Patsche zu helfen. „Hier wird eine neue Steuerlüge vorbereitet“, sagte die Fraktionssprecherin.

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