■ Alternativmediziner wie Geistheiler, Urintrinker und Akupunkteure werden wohl ab 1. Juli ihre Dienste am Patienten den Krankenkassen in Rechnung stellen können. Dies will heute die christlich-liberale Mehrheit im Bundestag beschließen
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Alternativmediziner wie Geistheiler, Urintrinker und Akupunkteure werden wohl ab 1. Juli ihre Dienste am Patienten den Krankenkassen in Rechnung stellen können. Dies will heute die christlich-liberale Mehrheit im Bundestag beschließen

Aderlaß bei den Kassen

Lahme kommen zu ihm, Krebskranke, Migränepatienten. Dr. med. Manfred Engel legt ihnen die Hand auf. „Geistheilen wirkt oft besser als Tabletten.“ Der Berliner Allgemeinmediziner ist von seiner Außenseitermethode überzeugt. „Wenn man mich ließe, würde ich die Hälfte der Klinikbetten leerräumen“, sagt er. Aber die gesetzlichen Krankenkassen lehnen es ab, das wundersame Handauflegen zu honorieren. Noch.

Ab 1. Juli könnte sich das ändern. Heute soll im Bundestag die Gesundheitsreform verabschiedet werden, die Horst Seehofer, CSU-Bundesgesundheitsminister, als „Jahrhundertwerk“ feiert. Es geht unter anderem um die Neufassung des Paragraphen 135 im Sozialgesetzbuch. Bisher heißt es dort: Die Krankenkassen können neue medizinische Verfahren nur dann bezahlen, wenn ihre Wirksamkeit „nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis anerkannt ist“. Diese Hürde garantierte, daß obskure Heilmethoden nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft abgerechnet wurden. Künftig sollen die Kassen jedoch zahlen, wenn ein Verfahren nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnise „in der jeweiligen Therapierichtung“ anerkannt ist.

Diese vier Wörter, so befürchten Kritiker, zerschlage das System einer wissenschaftlich orientierten Medizin. Sobald sich eine Gruppe von Ärzten darauf verständige, daß Handauflegen offene Beine heilt oder Pendeln den Nierenstein zerkleinert, dürften sie auf Geld von den Kassen rechnen.

Ganz so einfach wird es für Wunderheiler und Urintinktur- Priesterinnen nicht werden. Im Prinzip steht vor der Aufnahme in den Leistungskatalog der Kassen die Genehmigung des Bundesausschusses Ärzte und Krankenkassen. Nach den Kriterien der Biometrik soll die Frage geklärt werden, ob das Verfahren dem Patienten Heilung, zumindest aber Linderung verschafft. Konventionelle Medikamente werden gegen Placebos getestet, Krebsmittel mit neuen Wirkstoffen gegen solche herkömmlicher Zusammensetzung. So erbringen Schulmediziner den geforderten Wirksamkeitsnachweis.

Diese statistischen Verfahren aber lehnen Freunde der Außenseitertherapien bislang ab. Regelmäßig fallen ihre Methoden durch die Tests. Auch Geistheiler Manfred Engel weiß nicht, „warum das Handauflegen funktioniert“. Er verweist auf seine Einzelfälle, in denen es geholfen habe. Überprüfbar sind seine Aussagen nicht.

Schulmediziner wiederum profitieren häufig genug vom „Placebo-Effekt“. Studien belegen, daß der Scheineffekt bei Medikamenten zwischen 30 und 70 Prozent liegt. „Der Wirkstoff, der heilt, ist oftmals der Doktor selbst“, weiß auch Wolfgang Müller von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich-Medizinischen Fachgesellschaft, einem Zusammenschluß von 111 Medizinervereinen. Dennoch prangert er die Gesetzesänderung vehement an. Sie bedeute eine „Perversion des Wissenschaftsbegriffs“. Die Warnung gilt der „Binnenanerkennung“. Jedes „Sektierertum, jede noch so absurde medizinische Behauptung und sogar in betrügerischer Absicht erfundene neue Verfahren könnten sich unter dem Schutz der ,Binnenanerkennung‘ mit dem falschen Mantel einer wissenschaftlich überprüften Methode behängen“, heißt es.

Oftmals jedoch hat die Schulmedizin für einen Patienten mit einem Organtumor nichts anderes als Maschinen und eine hochdosierte, teure und von ihrer Wirksamkeit her zweifelhafte Chemotherapie anzubieten. Mit den Folgen der Krankheit aber muß er allein fertig werden. Handaufleger, Ozontherapeuten oder Magnetfeldgurus bieten, was Ärzte nicht geben: Zuwendung, Zeit und einfache Antworten. Daß es bei soviel Hinwendung auch zu spontanen Linderungen oder Heilungen kommen kann, bestreiten auch die Kassen nicht. Im Einzelfall bezahlen sie auch obskure Verfahren, die auf dem Index stehen. Hermann Schulte-Sasse, Leiter der Stabsstelle Medizin beim AOK- Bundesverband, weiß von einer an Brustkrebs erkrankten Frau, die Zuflucht bei einem Geistheiler suchte und 20.000 Mark berappen sollte. Das Honorar hätte sie ruiniert, also übernahm die AOK, „aus mitmenschlichen Gefühlen“.

Doch vielen Verfechtern der „Alternativ-Medizin“ ist gar nicht an einer Kassenanerkennung gelegen. „Die haben für meine Methoden eh kein Geld“, sagt Geistheiler Dr. med. Manfred Engel. „Ich wäre doch saudoof, dafür zu kämpfen, von der AOK 20 Mark für eine Behandlung zu kriegen, wenn ich privat 150 Mark nehmen kann.“ Nicht nur seine Patienten zahlen. Die Bundesbürger geben jährlich rund 12 Milliarden Mark für Medikamente ohne amtlich attestierten Wirksamkeitsnachweis aus. Annette Rogalla