Bigotterie und Begierde

■ Ruth Berghaus inszeniert Brechts „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ am Thalia-Theater

Parodien, über die man nicht lachen kann, die aber dennoch gelungen sind, haben ihre eigenen Gesetze. Sie müssen auf einem Luftsockel liegen, der das Wurzelschlagen in stumpfem Gewieher verhindert, sie verlangen nach Abstraktionen, die den Strich der Häßlichkeit verdicken und die Flucht in die Satire verhindern, und sie unterliegen dabei der Gefahr, Grimassen statt Strukturen hervorzubringen. Oder anders gesagt: Das Klischee, das einem seine häßliche Seite zuwendet, erscheint einem in seiner Darstellung fragwürdiger als jenes, das man durch sein Gelächter bestätigt.

Ruth Berghaus betreibt in ihrer Inszenierung von Brechts Die heilige Johanna der Schlachthöfe nun eine diffiziles, aber strenges Spiel mit diesem Gefühl der Fragwürdigkeit, indem sie Verfremdungen bis zum Klischee stilisiert, diese aber immer wieder ins Verhältnis zu Prozessen setzt, die die Geschichte als offenen Kampf darstellen. So sind die Viehhändler an der Chicagoer Fleischbörse, wo das Schicksal der Stadt und ihrer Arbeiter verspielt wird, selbst grunzende Schweine, die die Gesetze, aber nicht die Mathematik ihres Geschäfts verstehen und deswegen von einer einzigen gerissenen Person, dem Fleischkönig Pierpont Mauler, am Nasenring vorgeführt werden. Doch das Stirnrunzeln über dieses in den 20er Jahren von kommunistischen Künstlern hervorgebrachte plakative Kapitalistenbild – dem ein kaum weniger plakatives Proletenbild gegenübersteht – verschwindet mit der „Weichheit“, die Berghaus der Inszenierung der emotionalen Erschütterungen angedeihen läßt, die die Fronten des hochkapitalitischen Klassenkampfes bewegen.

Die labil-erotische Beziehung zwischen der naiven Heilsarmee-Soldatin Jahanna und dem hemmungslosen Utilitaristen Mauler, in der sie ihn aus der schwer erworbenen Kenntnis beider Welten – des skrupellosen Handels mit Termingeschäften auf der Börse und des daraus resultierenden unsäglichen Elends auf den Schlachthöfen – einen modernen Kapitalismusbegriff der sozialen Marktwirtschaft zu lehren versucht, schafft im Zentrum des Stückes einen Diskurs, der an plakativen Extremen befestigt sein muß, um vernünftig zu schwingen.

Sowohl Sandra Flubacher als auch Hans Kremer bewegen sich in diesem Kraftfeld aus Bigotterie, politischer Leidenschaft und verhaltener Begierde, das Ruth Berghaus oft mehr durch Choreografie als durch Inszenierung beherrscht, als Flügelwesen, die ihrer angestammten Sphäre entrückt sind. Selbst dort, wo es auf der sich zu einem bedrückenden Tunnel verengenden Bühne von Erich Wonder, an deren Ende grelles Licht scheint, handgreiflich wird, operieren Ideen, deren Einbindung in die bleierne Welt nur provisorisch ist. Es wird die Frage des Systems verhandelt, wobei Berghaus viel Wert darauf legt darzustellen, daß Johannas Verbesserungsvorschläge weniger von dem Mitleid für die Lage der Arbeiterklasse als aus Angst vor einem gewaltsamen Umsturz der bestehenden Ordnung motiviert sind.

Brechts ideologische Moral, daß Jahannas SPD-Kapitalismus von den Monopolisierungsbestrebungen Maulers, die den Klassenkampf noch verstärken, gewaltsam niedergelobt wird, hat Berghaus, vielleicht mit Blick auf das Raubrittertum in Ostdeutschland, durch das Hissen der weißen Fahne in ein Schlußbild gegossen, das diejenigen, denen es gegolten hat, wohl nicht verstanden haben. Sie hätten ansonsten nicht so begeistert geklatscht.

Till Briegleb