„Unendlich viele Reibungsverluste“

■ Kirchentag in Hamburg vom 14. bis 18. Juni: Mehr als 100.000 Besucher kommen in die Stadt / Die meisten schlafen in Schulen/ SchülerInnen lernen draußen vor der Tür Von Iris Schneider

Wie beim Turnfest vor einem Jahr: Etwa 75.000 BesucherInnen des 26. Deutschen Evangelischen Kirchentags in dieser Woche brauchen ein Dach überm Bett. Sie bekommen es in 337 Schulen der Hansestadt. Zwar schlafen sie nur des Nachts in den Räumen, die Klassenzimmer stehen den Schülerinnen und ihren LehrerInnen aber auch tagsüber nicht zur Verfügung. Schulfrei wollte die Behörde trotzdem nicht geben. „Die fürchten den Protest der Eltern, wenn der Unterricht ausfällt“, meint eine betroffene Klassenlehrerin. Für rund 120.000 Schulkinder bedeutet das drei Tage Unterricht an „außerschulischen Lernorten“, wie es der Leiter des Amtes für Schule, Dieter Nowottny, formuliert.

Was Schulleiter, LehrerInnen und Eltern besonders erbittert hat, war das Vorgehen von Senat und Behörde. Ohne mit den Betroffenen vor Ort zu sprechen, wurden die Schulen dem Kirchentag zur Verfügung gestellt. Und das zwei Wochen vor Beginn der Sommerferien, in einer Phase des Schuljahres, die durch Abschlußprüfungen an den Haupt- und Realschulen, bevorstehende Zeugnisse und Sommerfestplanungen ohnehin besonders arbeitsintensiv ist.

Nicht nur bei der Festsetzung des Termins hat es Unstimmigkeiten zwischen Schulen und Behörde gegeben, auch mit der Frage, wie der Unterricht in dieser Zeit gestaltet werden kann, wurden die Pädagogen weitgehend allein gelassen. Zwar hatte der Leiter des Pädagogisch-Theologischen Instituts (PTI), Horst Gloy, bereits im Oktober darauf hingewiesen, daß man den Schulen Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung in dieser Zeit machen müsse, es hat aber noch bis zum März gedauert, bis diese konkretisiert wurden. „Viel zu spät“, moniert Gloy. Verantwortliche Päd-agogen hätten bis dahin längst festgelegt, wie sie diese Tage gestalten wollten, fügt er hinzu. Aber „Abstimmungen zwischen so großen Organisationen wie dem Hamburger Senat und dem Kirchentag bringen unendlich viele Reibungsverluste“, bedauert Gloy.

Als diese Pläne der Schulbehörde im Spätherbst an den Schulen bekannt wurden, hagelte es Proteste, vor allem von den Eltern. So hat sich der Elternrat der Gesamtschule Niendorf mit einem offenen Brief an die Schulsenatorin Rosemarie Raab gewandt. Leider ohne jemals eine Stellungnahme aus der Hamburger Straße zu erhalten. Ihr Vorschlag, leerstehende Kasernen für Kichentagsbesucher zu nutzen, verhallte ungehört.

Erschwert wird der Unterricht an „außerschulischen Lernorten“ durch zwei Faktoren: Zum einen werden die Stadt und die öffentlichen Verkehrsmittel durch die TeilnehmerInnen der kirchlichen Großveranstaltung überlaufen sein; zum anderen können die Museen der Hansestadt, Naturfreundehäuser und andere interessante Orte nicht mit dem geballten Ansturm von mehr als 100.000 Kindern fertigwerden. „Alle attraktiven Spielplätze werden überfüllt sein“, fürchtet denn auch eine Grundschullehrerin.

Inzwischen haben sich wohl alle Schulen ihr individuelles Notprogramm zurechtgezimmert. In vielen Schulen nutzt das Kollegium einen der drei Schultage für die päd-agogische Jahreskonferenz. Für die SchülerInnen bedeutet das einen Tag schulfrei. Einen weiteren Tag wird man vielerorts den Bundesjugenspielen widmen, die im Freien stattfinden können.

Rund 7000 Kinder nehmen an drei Vormittagen das Angebot des Kinderkirchentags unter dem Motto „Gut, daß Du da bist“ wahr, die am Sonnabend im Stadtpark begann. Dabei wird ihnen unter anderem die Geschichte vom barmherzigen Samariter nahegebracht. Ob hier noch die Trennung von Kirche und Staat aufrechterhalten bleibt, steht dabei auf einem anderen Blatt.