Den Drachen besiegen

■ In St. Georg wird gestritten, geredet und gehandelt wie anderswo auch – doch der Ton ist rauher: Stadtteil-Impressionen von Torsten Schubert

St. Georg ist schön – auch von weitem. Aus sicherer Entfernung mochten die Hamburger ihren 'Schmuddelstadtteil' schon immer am liebsten. Die 1927 erbaute 'Fernsichtbrücke' in Uhlenhorst erlaubt einen wunderbaren Blick über die Alster auf das Hotel 'Atlantic' mit grünem Kupferdach, auf das gelb leuchtende Gebäude der Volksfürsorge. Umsichtige Stadtplanung wenigstens hier.

Dahinter stöhnt und sabbert St. Georg wie ein alter Mann, der sich mühsam weiterschleppt. Manchmal hilft ihm jemand, aber nur soweit, daß er den nächsten Schritt gerade schafft. Dann ist er wieder auf sich allein gestellt, kriecht schimpfend und krank davon. Das Gesicht entstellt, die Kleidung dreckig und stinkend.

Das Leben spielt sich auf der Straße ab. Es wird geredet, gestritten und gehandelt wie anderswo auch, doch der Ton ist rauher und die Menschen werden schneller handgreiflich. Die Art der Geschäfte bringt das mit sich. Und dennoch: Wenn etwa ein Obdachloser eine Prostituierte um eine Zigarette bittet und sie stehenbleibt, um ihm eine Kippe zuzustecken, wünscht er ihr anschließend ein „gutes Geschäft“. Umgangsformen, wie sie auch in feineren Stadtteilen unter Geschäftsleuten üblich sind.

Nur daß die Bars in St. Georg dunkler und schäbiger sind, 'Na Na' oder 'Monsters' heißen. Daß es lauter ist als woanders und Kindergeschrei sogar durch die Mauern einer Kirche dringt. In der Kirche sind ebensowenig Kerzen angezündet wie anderswo: Auch in St. Georg haben die Menschen ihren Glauben verloren – obwohl sie ihn vielleicht nötiger hätten. Die täglichen Probleme erfordern handfestere Fertigkeiten, wie die Verteidigung von angestammten Plätzen. „Here is Blondis place“, steht auf einer blinden Fensterscheibe, und das ist durchaus ernst gemeint.

In dieser Umgebung wirkt die Litfaßsäule mit einem Plakat, auf dem die 'Deutsche Bank' für ein Golfturnier wirbt, einfach fehl am Platz. Noch nicht einmal die Freier, die in ihren Autos den Strich rund um den Hansaplatz auf der Suche nach einem Mädchen abfahren, achten darauf. Sie haben nur Augen für die Prostituierten und den Verkehr. Argwöhnisch beobachtet von alten Männern, die sich mit einer Dose Bier in der Hand so ihre Gedanken machen. Wer sich hier blicken läßt, ist verdächtig: Freier? Zuhälter? Drogenabhängiger? Krimineller? Viele Anwohner haben inzwischen genug von den Problemen. Sie trauen sich kaum noch auf die Straße – Frauen werden angemacht, Männer bedroht. Die Geschäfte, die hier betrieben werden, haben ihre eigenen Spielregeln, sind oft lebensgefährlich. Deshalb ziehen viele Menschen aus dem Stadtteil weg, die, die bleiben, fordern Sofortmaßnahmen von der Stadt. In einem Schreiben haben sie Bürgermeister Henning Voscherau aufgefordert, eine Woche mit seiner Familie in einer Wohnung am Hansaplatz zu wohnen, um die Zustände kennenzulernen. Die Antwort: eine Anweisung an Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow, noch bis zur Sommerpause eine 'Drucksache St. Georg' vorzulegen. Aus der Senatskanzlei heißt es, die Stadt werde dort tätig werden, wo sie zuständig ist, vieles sei aber eben Bundesangelegenheit. Hamburg habe bereits eine Drogeninitiative gestartet, die leider von der Bundesregierung blockiert werde.

Anwohner laden den Bürgermeister ein: am Hansa-Platz wohnen!

Das nützt den Anwohnern im Augenblick wenig. Die Politologin Ulrike Peters, die den Treffpunkt St. Georg der Grauen Panther betreut, fordert eine sofortige Entlastung des Stadtteils und mehr Polizeieinsätze, damit zumindest der offene Drogenhandel unterbunden wird. Sie weiß, daß den Menschen auf Dauer damit nicht geholfen ist, aber, so sagt sie, wenn Anwohner massiv bedroht werden, müssen sie sich wehren. Ihre Aufgabe sieht Ulrike Peters darin, in kleinen Schritten die „Hemmschwelle Hansaplatz“ abzubauen, den Menschen, die zum Treffpunkt kommen, ein Stück Heimat zu bieten.

Jeder in St. Georg versucht sich so gut es geht einzurichten. Wie der Besitzer einer Imbißbude in der Langen Reihe, der lustige Comicfiguren auf seinen Hähnchengrill stellt. Es gibt sogar einen Verein der Naturfreunde, der „mehr Ruhe, weniger Dreck“ verlangt. Viele Menschen wollen trotz allem in diesem Stadtteil leben, und sie wollen nicht, daß St. Georg zu einem Ghetto des Elends und der Kriminalität wird. Übrigens: Auch der Namenspatron des Stadtteils hat schon mal einen Drachen besiegt...