Reich oder räudig

■ Premieren: Labiche und Mozart auf Hamburgs Bühnen

Schauspielhaus – Das Sparschwein

Jossi Wieler ist ein Künstler in der Arbeit mit Schauspielern und dem feinen Zeichnen von Charakteren. Statt Figuren im Geiste einer Szene konzeptionell glattzubügeln, sorgt Wieler gerade dafür, daß der fehlerhafte Reichtum einer Person individuell hervortritt. Das braucht natürlich Entwicklungszeit, und bei einer personenaufwendigen Inszenierung wie bei Eugène Labiches Das Sparschwein führt das dann zu einer Länge, die trotz aller Kunst auf Kosten der Konzentration geht.

Daß Langatmigkeit dann aber dennoch nicht zur Langeweile führt, ist die Tugend der Not, daß über drei Stunden Spielzeit für eine Komödie zu viel sind. Wie in einer außergewöhnlichen Ausstellung, deren Exponate einen auch dann noch immer weiter ziehen, wenn der Magen knurrt und Augen und Knochen schmerzen, ist die Beobachtung der Einzelheiten der ungewöhnlichen Reisegesellschaft, die ihre Spielkasse in Paris auf den Kopf hauen will und dabei von einer Katastrophe in die andere schlittert, bis zum Schluß ein Vergnügen.

Da Wieler den Unterhaltungswert – bis auf eine mißglückte Szene beim Kuppler – nicht aus Klamauk und Gekreische, sondern aus der Alltagskomik verquerer Provinzspießer zieht und Bühnenbildnerin Anna Viebrock Räume dazu entworfen hat, die Gewöhnlichkeit und Poesie galant vereinen, entwickelt sich aus Labiches Komödie eine präzise und liebenswerte Skizze kleinbürgerlicher Schwierigkeiten mit sich selbst und der Welt, die mehr Schmunzeln als Grölen erheischt. Die geschlossene Ensembleleistung, aus der nur Urs Hefti als Landwirt Colladan noch hervorzustechen weiß, ermöglicht dies praktisch und rechtfertigt nicht als Letztes den Besuch.

Till Briegleb

Kammerspiele – Die Zauberflöte

Alte Bekannte sind sie mittlerweile, das Music Theatre aus London, das am Donnerstag seine vierte Produktion in den Kammerspielen präsentierte. Diesmal hatten sich die singschauspielernden Angelsachsen Mozarts Zauberflöte vorgenommen, leider mit enttäuschendem Ergebnis. Der Schatten von Florence Foster-Jenkins schwebte lähmend über den Darstellerinnen, die sich mit schrillen Tönen durch ihre Partien kämpften. Die Herren retteten sich ins Deklamieren ihrer kalauerstrotzenden Texte.

Das eigentliche Interesse bei den Produktionen des Music Theatre gilt jedoch der szenischen Seite, aber was Regisseur Nicholas Broadhurst und seinem Team eingefallen war, gelangte kaum über albernen Schülerklamauk hinaus. Papageno im Gockelkostüm, die drei Knaben als für den englischen Humor offenbar unverzichtbare Pfadfinder, jeder Idee wird durch szenische Überstrapazierung und dümmliche Reime auch noch der letzte Reiz entzogen. Wenn der lüsterne Monostatos seine Uniform-Hüllen fallen läßt und sich als Bunny im schwarzen Lackschlüpfer präsentiert, ist das weder shocking noch komisch, sondern einfach nur abgestanden.

Wer sein Schulenglisch dennoch mal wieder auf die Probe stellen will, hat dazu noch bis zum 2. Juli in den Kammerspielen die Gelegenheit.

Jörg Königsdorf