"Nicht gut für den Ruf"

■ Peter Christ, Chefredakteur der "Badischen Zeitung", zur Kündigung von Gerhard Jörder und der Zukunft des Blattes

taz: Es scheint, als würde sich die ganze Stadt mit Gerhard Jörder solidarisieren. Hat Sie das überrascht?

Peter Christ: Zunächst mal hat Freiburg 200.000 Einwohner, davon waren 300 auf der Protestveranstaltung. Herr Jörder ist Freiburger, seine Eltern sind Freiburger. Er ist seit vierundzwanzig Jahren bei der Zeitung und in der Kulturszene fest verankert. Da kennt man sich natürlich.

Fühlen Sie sich als Buhmann?

Bei einigen bin ich dazu geworden. Das liegt daran, daß ich die Gründe für die beabsichtigte Trennung bisher nicht offenlegen konnte. Deshalb hat die Öffentlichkeit und die eigene Redaktion Mühe, überhaupt nachempfinden zu können, was mich dazu bewogen hat.

Sie können auch jetzt noch keine Gründe nennen?

Möglicherweise werden die nie offengelegt. Wir werden in den nächsten Tagen ein Gespräch mit Herrn Jörder führen, um auszuloten, welche Möglichkeiten es außer einer Kündigung gibt. Wenn Herr Jörder gesprächsbereit ist, kann ich mir da vieles vorstellen.

Besteht die Möglichkeit, daß Jörder beim Blatt bleibt?

In einem ganz weiten Sinne besteht vielleicht die Möglichkeit.

In derselben Position?

Da lege ich mich nicht fest.

Haben Sie mit einer solchen Vehemenz des Protestes gerechnet?

Die Kulturgemeinde hängt dicht zusammen, und Herr Jörder ist ein Teil von ihr. Er hat sich sehr für die Kulturszene in Freiburg eingesetzt. Da ist klar, daß eine Reaktion erfolgen muß.

Hängt der Grund für die Trennung mit Jörders gutem Draht zu den Größen der Freiburger Kulturszene zusammen?

Ich weiß nicht, wie gut Herr Jörder mit wem bekannt ist, und das ist auch nicht der Grund.

Ist eine Trennung von Jörder nicht eine tiefergehende Beschädigung des Rufes der Zeitung?

Für das Ansehen ist das sicher nicht gut. Aber der Kulturteil ist nicht von Herrn Jörder allein gemacht worden, sondern von fünf Journalisten, und die anderen vier sind auch gut.

Wie oft hat die „Zeit“ in jüngerer Vergangenheit ihren Kulturchef ausgewechselt. Das ist hier unten in Freiburg etwas ungewöhnlich, aber in der deutschen Presselandschaft überhaupt nicht.

Haben Sie für Ihre Entscheidung, sich von Jörder zu trennen, auch Beifall bekommen?

Es gibt in der Redaktion Leute, die Verständnis haben. Wenn die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt, daß neunzig Prozent der Kollegen eine Resolution gegen die Kündigung Jörders unterschrieben haben, dann stimmt das nicht. Wir haben über 160 Kollegen, und 100 haben unterschrieben.

Sie sind in der schwierigen Lage, einerseits zu sparen, andererseits die journalistische Qualität erhalten zu wollen.

Wir wollen trotz aller Sparmaßnahmen die „Badische Zeitung“ als Regionalzeitung mit hohem Niveau erhalten. Da gibt es keinerlei Dissens zwischen der Redaktion und mir. Was draußen gelegentlich behauptet wird, daß diese Zeitung boulevardisiert würde – diese Einschätzung wird nicht einmal von der eigenen Redaktion geteilt. Wir haben zu vielen wichtigen Themen Schwerpunktseiten gemacht, weil wir unsere Leser so umfassend und gründlich informieren wollen, wie wir das können. Man darf Jörder und die Spardebatte nicht miteinander verbinden.

Als eine Zeitung, die kritischen Journalismus betreibt, der sich keineswegs nur auf die Person Jörder beschränken läßt, treten wir zwangsläufig Leuten auf die Füße. Wir haben bei den Protesten etliche Mediziner von den Uni-Kliniken dabei. Da hat sich Unmut aufgestaut, weil wir vor etwa einem Jahr einen größeren Artikel über die Gehälter der Klinikdirektoren im Lokalteil hatten. Da ballt sich Unmut zusammen, und dann wird die Angelegenheit Jörder zum Anlaß genommen, diesem Unmut Luft zu machen.

Hatten Sie es schwer, als Sie vor zwei Jahren als Außenstehender zur „Badischen Zeitung“ kamen, in dieses Freiburger Geflecht hineinzufinden?

Ja, aber es ist keineswegs unmöglich. Ich kenne mittlerweile viele Leute in der Stadt. Ich bin mit der Redaktion gut klargekommen und arbeite mit den allermeisten Kollegen sehr gut zusammen. Aber wann immer Sie anfangen, Dinge zu ändern, die man in zwanzig, dreißig Jahren liebgewonnen hat, gibt es zunächst Widerstand und Reibung. Ich bin mir sicher, daß die Mehrheit der Kollegen mit meinen Entscheidungen einverstanden ist. Ein Problem ist, daß wir es jetzt mit einer veränderten wirtschaftlichen Situation zu tun haben. Als ich mit den Verlegern der Zeitung darüber verhandelte, ob ich hierher kommen soll, war von Sparen noch nicht die Rede. Durch die Probleme im Anzeigengeschäft sind wir jetzt zum Sparen gezwungen.

Welche Sparmaßnahmen stehen noch an?

Wir haben ein Sparkonzept über anderthalb Millionen Mark im Frühjahr beschlossen, ein weiteres kommt jetzt hinzu, weil die Probleme im Anzeigengeschäft eher zu als abnehmen. Das gilt auch für andere Regionalzeitungen. Wir mußten vor kurzem ein neues Redaktionssystem anschaffen - das waren Investitionen von zehn Millionen Mark.

Stimmt es, daß in nächster Zeit zwanzig Stellen gekürzt werden?

Diese Zahl kann ich weder bestätigen noch dementieren. Nächste Woche wird es darüber Klarheit geben. Am Mittwoch wird die Redaktion von den Verlegern, der Geschäftsführung und mir über das zweite Sparpaket informiert werden.

Könnte eine Trennung von Jörder angesichts der Boykottaufrufe zu einem wirtschaftlichen Problem werden?

Der Kreis, der zu Boykotten aufruft, ist als Anzeigenkunden ohnehin nicht wichtig. Das klingt arrogant, ist aber so. Bei Abo- Kündigungen haben wir bis jetzt ungefähr vierzig Abbestellungen. Als wir das Kreuzworträtsel im Magazin abgeschafft hatten, hatten wir weit mehr Abbestellungen. Interview: Stefan Kuzmany