Mobil für Deutschland

Ungebrochen gegen den Strom: Mit dem Auto durch die Fahrradstadt Hamburg. Ein unzeitgemäßer Mobilitäts-Report  ■ von Florian Marten

Schon mal dem hämischen Grinsen eines City-Bikers standgehalten, der dir bräsig-selbstbewußt den Bewegungsraum vor der Ampel stiehlt? Schon mal die Wut runtergeschluckt, wenn dein schmales Hoplersträßlein wieder mal von frechen Radlern zugeparkt ist? Schon mal dem sonoren Emanzenalt widersprochen, der dir klarmacht, daß es erste Menschenpflicht ist, sein Kind mit dem doppelsitzigen Fahrradanhänger zum Montessorikinderhaus zu schleifen, auch wenn das deine eh schon malträtrierte Autobahn jeden Morgen stundenlang blockiert und dich zur lebensgefährlichen Wahl zwischen keifenden Fußgängern und crashlustigen Hochgeschwindigkeitsbikern nötigt?

Wer sich heute mit dem Auto durch die Freie und Fahrradstadt Hamburg quält, schwimmt gegen den Strom. Schon längst hat sich der Zeitgeist einseitig des öffentlichen Raums bemächtigt und dort, wo kürzlich noch sattes Motorengebrumm von Wohlstand, Wolfsburg und Wachstumsgesellschaft kündete, schwitzenden Waden, weitausladenden Rikschas und wurstigen Radlbullen Platz gemacht.

Autofahren in Hamburg, einst hochangesehene Lebensart und arbeitsplatzsichernde Bürgerpflicht, ist zur Überzeugungstat einer kleinen Minderheit geronnen, die sich trotzig dem widerlichen Wertewandel der wohlfeilen ökologischen Gesinnungstäter entgegenstemmt.

Mal eben vergnügt mit dem Auto um die Ecke brausen, um sich Brötchen und Lucky Strike zu organisieren? Daß ich nicht lache! Wo einst frohe Garagen ihre Tore den belebten Straßen zuwandten, reiht sich heute Fahrradhäuschen an Fahrradhäuschen. Wenn ich deshalb mal wieder, meinen Golf GTI geschultert, unser Treppenhaus emporkeuche, bin ich dem „Hopphopphopp!“der vorlauten Türkenbengel ausgesetzt und darf mir dann noch ein besorgtes: „Sie können sich wohl kein Fahrrad leisten?“meiner sonst so freundlichen Vermieterin anhören.

Dabei – was bleibt mir übrig: Autoversicherung? Während die Fahrrad-Society mit Wegfahrsperre, Lenkradschloß und Dumping-Tarifen der Vollkasko- und Diebstahlversicherung protzt, müßte ich jährlich fast 20 Prozent des Kaufpreises allein für die Diebstahlversicherung aufbringen. Ins Kino kann ich deshalb schon längst nicht mehr mit dem Auto. Gute Freunde drücken glücklicherweise ein Auge zu, wenn ich mein Gefährt bei Besuchen mit hochbringe und – selbstverständlich mit untergelegten Zeitungen – in ihrem Wohnungsflur zwischenlagere.

Auch die große Errungenschaft, die wir der letzten Autofreundin im Senat verdanken, der einstigen Verkehrs-, Frauen- und Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller, mag mich nicht mehr trösten: Wer je sein Auto, und mag es noch so hübsch und klein sein, an einem sonnigen Juniwochenende mit U- oder S-Bahn ins Freie ausführen wollte, weiß, wovon ich rede: Soziales Spießrutenlaufen. Omas, die dir voller Verachtung ihre spitzen Ellbogen in die Seite rammen, kinderwagenbewehrte Hausväter, die dich als asozialen Mobilitätsegoisten der U-Bahn verweisen, Bahnsteigpersonal, welches peinlich genau beachtet, ob du dem fußläufigen Mob auch wirklich jeden Vorrang einräumst. Nein, der kostenlose Autotransport in Hamburgs Schnellbahnen ist keine Errungenschaft, sondern perfider Psychoterror, der einem die gesellschaftliche Außenseiterrolle erst so richtig ins Bewußtsein rückt.

Und jene Autowege, deren übergroßer Kilometerzahl sich Hamburgs Baubehörde seit Jahrzehnten rühmt? Machen Sie selbst den Test: Meine Sportfelgen sind mit schöner Regelmäßigkeit verbeult, die Kotflügel zeigen nicht nur Brennesselspuren und Kratzer vom grünen Pflanzendschungel, der unsere handtuchschmalen, baumwurzeldurchseuchten und frostzerplatzten Fortbewegungsreservate längst überwuchert – jede Stadtfahrt mutet meinem sensiblen Gefährt vom Stoßdämpfer bis zur lackschonenden Wachshaut eine vielfach größere Belastung zu als einst die legendären Camel-Trophy-Tours.

Und wenn dann noch Hamburgs Medien, angeführt vom Auto-Renegaten Christian Kersting, der einst in der BILD-Zeitung Hamburgs Autofahrer vorm Streusalzverbot rettete, mit sadistischer Regelmäßigkeit gegen die „Rowdys hinter der Windschutzscheibe“hetzen, die sich Tempo 35 auf ihren schmalen Autowegen herausnehmen oder nur im Schrittempo durch Fußgängerzonen hoppeln, wo sie angeblich ältere Mitbürger zu Tode erschrecken, da fragt man sich verzweifelt: Ja, wo leben wir denn?!

Wir, die wir die letzten Arbeitsplätze in der Automobilindustrie verteidigen. Wir, denen Mobilität nicht kalte Rationalität oder hedonistischer Körperkult, sondern lustbetonte Maschinenerotik bedeutet.

Wenn uns dann mal der Autoschlüssel ausrutscht und wir im pulverbeschichteten Ökolack des Liegeluxusliners unsere kleine Schleifspur hinterlassen, wenn wir ein eurokleines „Parke nicht auf unseren Wegen!“auf die edelkorkgepolsterten Lenkergriffe der protzigen Gelände-Bikes pappen – wer würde uns da nicht klammheimlich doch verstehen...