„Du Mann, ich Frau, wir Sex“

■ Der Deutschen erotische Phantasien sind eher bodenständig / Eine Lesung bei „For Ladies“zwischen Lederpeitschen, Reizwäsche und Vibratoren

Alles hatte damit angefangen, daß ein Bremer Sexualtherapeut bei pro familia an seine Grenzen stieß. Eine Frau mit offensichtlich defizitären Erfahrungen in Sachen Sex hatte ihn so weit gebracht. Er war schon sehr deutlich geworden bei dem Versuch, die Hilfesuchende an ihre sinnliche Mitte heranzuführen - fühlte sich dann aber „als Mann überfordert“.

„Sie müßte mal was lesen zu dem Thema“– dachte sich Stefan Biele und machte sich auf die Suche nach geeigneter sexueller Selbstfindungs-Literatur. Ohne Erfolg: Der Büchermarkt bot fast nur amerikanische Nachschlagewerke – die meisten davon von der Bestseller-Erfüllungsgehilfin Nancy Friday.

Amerikanische Gelüste lassen sich aber nicht so ohne weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragen. So entstand die Idee, sich selbst als Autor zu betätigen – den erotischen Phantasien und sexuellen Erfahrungen der Deutschen auf die Schliche zu kommen. Der Psychologe Stefan Biele tat sich mit der Bremer Pädagogin Andrea Baldauf zusammen.

Gemeinsam schalteten sie Anzeigen in überregionalen Tageszeitungen, und forderten den Otto-Normal-Sexkonsumenten darin auf, seine erotischen Erfahrungen oder Phantasien niederzuschreiben und einzuschicken.

Am Donnerstag wurde das Ergebnis im Frauen-Sexshop „For Ladies“vorgestellt. Ein 300 Seiten starkes Buch mit dem schlichten Titel „Was uns anmacht“. 44 Kurzgeschichten rund um Lust und Frust finden sich darin – die meisten authentisch, nur wenige erfunden. Vom fulminanten Ultra-Orgasmus bis zum frustenden coitus interruptus – fast alles ist dabei.

Da berichtet ein 73jähriger von seinem ersten Mal mit einer rotblonden Schönheit im luftigen Sommerkleid in einem schaukelnden Boot. Während sie ihn mit den geheimsten Winkeln des weiblichen Körpers vertraut macht, denkt er an Selbstmord – später entladen sich seine geballt-existenziellen Gefühle in einem Heulkrampf. Ein 42jähriger braucht 21 Seiten, um zu beschreiben, wie er eine sonnenbadende Polin oben ohne bespannt und sich schließlich einen runterholt. Der Ekel vor dem weiblichen Menstruationsfluß verhindert nach heißem Vorspiel in letzter Sekunde den Liebesakt eines Taxifahrers mit einer 33jährigen.

„Du Mann, ich Frau, wir Sex“- so lautet die kurz und bündige Kontaktanzeige, auf die ein 50jähriger antwortet. Die Frau, die dahintersteckt, bekommt er nie zu Gesicht: Sie empfängt ihn in einem dunklen Flur, verbindet ihm die Augen und verschwindet nach vollzogenem Verkehr auf Nimmer-Wiedersehen.

Die Gefühle einer 36jährigen werden entflammt von einem Unbekannten, der in der Oper neben ihr sitzt. Sie macht sich offensiv an ihren Sitznachbarn ran - nach Ende der Aufführung entgegnet er ihr lächelnd, daß er schwul sei.

„Der deutsche Sex ist bodenständig, in den Alltag eingebettet. Und der Kopf spielt eine große Rolle dabei.“so charakterisiert Andrea Baldauf das durch die Einsendungen entstandene Bild von der Deutschen Lustfähigkeit.

Auf seltsame Art bodenständig geriet auch die Vorstellung des Buches am Donnerstag. Etwa 30 Leute saßen, eingequetscht im schwülen Sexshop, zwischen Strapsen und Vibratoren, Reizwäsche und Lederpeitschen. Der Psychologe und die Pädagogin lasen abwechselnd Kurzgeschichten aus dem Buch vor. Aber so richtig prickelnd war allenfalls der Sekt, den die Zuhörer für ihre acht Mark Eintritt bekamen – und vielleicht die Aussicht, sich für fünf Mark davon etwas im Sexshop aussuchen zu dürfen. Zu ungeübt waren Baldauf und Biele in der spannungsvollen Präsentation von Texten - erst Recht erotischen.

Beim nächsten Mal – so haben die Initiatoren des Buches schon überlegt – werden sie vielleicht einen Schauspieler engagieren, der die Texte vorlesen soll. Daß auch ein Hörspiel aus der literarischen Vorlage entstehen könnte, war wohl nur ein Scherz.

Britta Amediek