Die Schöneberger lassen der Dietrich keine Ruhe

■ Der Kaiser-Wilhelm-Platz soll in Marlene-Dietrich-Platz umbenannt werden. Für die Politiker eine Standortfrage, für viele Bürger eine Provokation. Ein Trauerspiel

Die Dietrich schaut zu.

Herr Prill (68) kramt aufgeregt im Portemonnaie. Personalausweis. Schwerbehindertenausweis. BVG-Ticket. Dann, endlich, der Beweis. „Schauen Sie“, sagt Herr Prill zu der Dame rechts neben ihm, „ich bin CDU-Mitglied.“ Seit 31 Jahren. Die Dame, Brigitte Mießner, stellvertretende SPD- Kreisvorsitzende von Schöneberg, nimmt den Beweis lächelnd zur Kenntnis. Eben noch hatte sie zu Herrn Prill gesagt: „Geben Sie doch zu, daß sie bei den ,Republikanern‘ sind.“ Das wollte Herr Prill nicht auf sich sitzen lassen. Ein Rep, nein, das sei er nicht. Er ist CDUler. Und gegen die Umbenennung des Kaiser-Wilhelm-Platzes in Marlene-Dietrich-Platz.

Herr Prill war am Donnerstag abend in die Rathausstuben zur SPD-Bürgeranhörung gekommen. Hatte sich als erster zu Wort gemeldet: „Ich will mal wissen, für welche Verdienste diese Frau geehrt werden soll?“ Es gebe doch so viele andere Persönlichkeiten, die es verdient hätten, ins Schöneberger Straßenbild aufgenommen zu werden. Der Heinrich George. Der Victor de Kowa. Die Dietrich, sagt Herr Prill, habe leicht schimpfen können auf die Nazis. Aus Amerika, aus der Ferne. „Aus der Sicherheit heraus kann ich auch auf die Nazis schimpfen.“ Außerdem habe sie einmal gesagt: „Ich werde nie mehr deutschen Boden betreten.“ Und außerdem sei sie 1945 „als Verbindnungsoffizier in amerikanischer Uniform“ mit den Siegern in Deutschland einmarschiert. Das nimmt Herr Prill der Dietrich übel. Und auch, daß sie es später vorgezogen habe, in Paris statt in Berlin zu leben.

Marlene Dietrich schaut zu. Der Wirt der Rathausstuben hat Bilder der Diva aufhängen lassen. Marlene in Frack und mit Zylinder. Marlene fast immer mit Zigarette.

Kappes aus'm Kaiser-Wilhelm- Platz-Kiez haben „mit vielen Leuten gesprochen“. Und alle hätten gesagt: „Um Gottes willen, nicht diese Frau ehren.“ Kappes haben sich auch vor dem Geburtshaus von Marlene Dietrich, Leberstraße 56, erkundigt – da, wo 1992 zu Ehren der Diva eine Bronzetafel angebracht wurde und wo der 187er hält. „Von den Wartenden wird die Tafel doch gar nicht beachtet“, hat Renate Kappe beobachtet. Also sei zu fragen: „Was macht diese Person so groß? Warum muß man sie ehren?“ Der Kaiser-Wilhelm- Platz, nimmt Wolfgang Kappe den Satz seiner Frau auf, müsse seinen Namen behalten.

Die Dietrich schaut weiter zu.

Hanns Leske, der SPD-Fraktionschef, sieht ein, daß vor allem ältere Schöneberger an dem 105 Jahre alten Kaiser-Wilhelm-Platz hängen. „Da hängen Emotionen dran, der Platz ist ein Synonym für Jugenderinnerungen.“ Aber, sagt Leske, man müsse nun endlich einmal die unwürdige Diskussion um eine Marlene-Dietrich-Ehrung beenden. „Wir sind ja schon in der ganzen Welt im Gespräch.“ Nun soll eben Kaiser Wilhelm dran glauben, der „Stellen in seiner Biographie hat, die Sozialdemokraten ganz schön an die Nieren geht“. Die Sozialistengesetze zum Beispiel. Hanns Leske tut so, als wisse er das erst seit gestern.

Reingard Jäkl (Grüne) erklärt die Umbenennungsfrage zur Standortfrage. „Wir müssen Marlene Dietrich als Standortfaktor begreifen.“ Denn was habe Schöneberg sonst zu bieten? Einen verschlafenen Kaiser-Wilhelm-Platz. Und eben den Namen einer Diva, der untergebracht werden muß.

Marlene Dietrich, die engagierte Nazigegnerin, schaut von den Bildern – herab. Jens Rübsam