Wenn das Gute liegt so nah

Reise- und Umweltfachleute diskutierten die Auswirkungen der Billig-Fernreisen auf den Alpentourismus und die Gegenstrategien  ■ Von Christian Baumgartner

Eine Woche auf der griechischen Insel Kos für nur mehr 341 Mark. Die „Schlaflosen Nächte“, wie der Schweizer Reiseriese Kuoni seine neusten Dumpingangebote nennt, nutzen die Spätabendlöcher der Fluglinien und sparen so auch noch eine Hotelnacht ein. 13 Reisebüro-Konzerne diktieren den Weltmarkt und setzen gnadenlos auf einen ruinösen Preiskampf, der kleinere Mitbewerber auffrißt und Urlaubsziele im eigenen Land alt aussehen läßt.

Der Trend zur Fernreise hält an. Experten rechnen bis zum Jahr 2010 mit einer anhaltenden Zunahme der Personenflugkilometer von jährlich fünf bis sechs Prozent. Damit würde sich der Anteil des Flugverkehrs am Treibhauseffekt verdoppeln. Von der ökologischen Zerstörung der zu Wegwerfdestinationen gemachten, kurzfristig modernen Ziele und der Ausbeutung der mit dem und vom Tourismus lebenden Einheimischen gar nicht zu sprechen.

Es sieht so aus, als würde die Konkurrenz der unverhältnismäßig billigen Reisen in die Ferne die Nächtigungszahlen in den Alpen zurückgehen lassen und gleichzeitig durch die Klimaerwärmung auch die wichtige Einnahmequelle Wintertourismus gefährden: Während sich der im Tourismus erzielte Umsatz von rund 3.600 Dollar jährlich bis zum Jahr 2006 etwa verdoppeln wird, sinkt der Anteil Europas ständig. In Österreich reduzierte sich der Umsatz seit dem Jahr 1992 von 190 Milliarden Schilling (etwa 27 Milliarden Mark) um rund zwölf Prozent auf 167 Milliarden Schilling (23,9 Milliarden Mark). 40 Prozent der Hotels sind an der Grenze des Bankrotts und gehören nur mehr den Banken, etwa 30 Prozent der Betten wären nach Aussagen von Wirtschaftsfachleuten abzubauen. Diese Strukturprobleme des heimischen Tourismus sind allerdings nicht nur ein Ergebnis der billigen Fernreisen. Auch falsches Marketing, die teilweise Entwicklung zu charakterlosen, austauschbaren Destinationen und die Vernachlässigung der unverwechselbaren eigenen Kultur haben das Ihre beigetragen.

Laut Dr. Bruno Abegg vom Geographischen Institut der Universität Zürich läßt sich zwar derzeit ein Zusammenhang zwischen der aktuellen Klimaänderung und den Schneeverhältnissen der vergangenen Winter nicht eindeutig nachweisen. Trotzdem deutet einiges darauf hin, daß durch die allgemeine Erwärmung die Grenze der Schneesicherheit auf etwa 1.500 Meter ansteigen wird. Andere Modelle sprechen sogar vom langfristigen Verschwinden der winterlichen Niederschläge durch eine Zunahme der stabilen Hochdrucklagen. Fakten, die schon heute dazu führen, daß sich – vor allem die tiefliegenden – Wintersportorte Gedanken machen. Großflächige Beschneiungen und weitere Erschließungen in den höher gelegenen Regionen stehen genauso zur Debatte wie neuartige Angebote für die Wintergäste. Schon heute sind etwa 50 Prozent der Wintergäste im klassischen Ski-Eldorado Oberengadin Nicht-Skifahrer. Doch wer jetzt an genußvolle Winterwanderungen denkt, liegt falsch. Schneegolf und Autorennen am zugefrorenen See bei St. Moritz sind die neuen Trends.

Das Beispiel eines Wintergastes in St. Moritz, der seine Morgenzeitung täglich mit dem Privatjet aus Paris einfliegen läßt, zeigt, daß sich sogar Tourismus in den Alpen mit flugverkehrbedingten Problemen verbinden läßt. So wird in St. Moritz gerade der Ausbau des nahen Flughafens Samedan diskutiert, um ein witterungsunabhängiges Anfliegen mit Linienflugzeugen zu ermöglichen. Als ob die Zukunft des Tourismus in der raschen Erreichbarkeit läge.

Es braucht heute kleinräumige Konzepte ebenso wie übergreifende Strategien für einen Nahtourismus, der eine attraktive Konkurrenz zu den Fernreisen darstellt, gleichzeitig aber auch seine Ressourcen Landschaft, Kultur und Mensch schonend in den Mittelpunkt stellt.

Die Tourismuskriterien, denen aufgrund der Beschränkung der Diskussion auf praxisnahe Kriterien für sanften Tourismus schon der „Absturz in Marmeladendöschen“ prophezeit wurde, gaben im Rahmen der 1. Bergeller Gespräche wieder ein kräftiges Lebenszeichen von sich.

Alteingesessene Organisationen wie der Baseler Arbeitskreis für Tourismus & Entwicklung und das junge Institut für Integrativen Tourismus und Freizeitforschung (IITF) in Wien verbünden sich mit Wissenschaft und interessierten Reiseanbietern zu neuen Allianzen. „Angestrebt werden neue Wege der Kommunikation und Kooperation“, lautet schließlich auch das Credo der Veranstaltung in der traditionsreichen Ideenschmiede Salecina. „Die zukünftigen Handlungsfelder werden in den Bereichen Professionalisierung und Bildung liegen. Klarheit in den visionären Zielvorgaben und den umsetzbaren Einzelschritten ist angesagt.“

Das aufgrund der Komplexität der Herausforderung weite Spektrum der Forderungen reicht von professioneller Vermarktung von intakter Natur und Landschaft statt Fun & Action-Konzepten einerseits bis hin zur Kerosinbesteuerung und der Kostenwahrheit der Verkehrsmittel andererseits.

Nachahmenswerte Beispiele eines zukunftsnahen Tourismus gibt es viele. Ob es sich um sanfte Regionen wie das österreichische Lesachtal handelt, um Direktvermarktungsstrategien für landwirtschaftliche Produkte wie den Ökomarkt Graubünden oder um problembewußte Reiseanbieter wie den Schweizer Studenten Reisedienst SSR-Reisen. Notwendig sind jetzt effiziente Netzwerke zum Erfahrungsaustausch untereinander. „Kapieren und dann kopieren“ fördert angepaßte Nachahmung. Das Internet stellt dabei eine der potentesten Möglichkeiten zur werbewirksamen Darstellung zum Erreichen möglicher Kunden dar.

Auf offiziellen Seminaren und Workshops, die für Tourismusverantwortliche wie Hoteliers und Verkehrsdirektoren organisiert werden, wird heute viel von Professionalisierung der Arbeit im Tourismus gesprochen, um die Branchenprobleme wieder in den Griff zu kriegen. Gleichzeit stellt man unterhalb der Managementebenen aus Kostengründen einen Trend zum billigeren und damit minder qualifizierten Personal fest. Kaum eine tourismusrelevante Ausbildung beinhaltet bisher tatsächlich tourismuskritische Inhalte.

Professionalität brauchen aber gerade auch jene touristischen Regionen und Betriebe, die als Alternativen zum herkömmlichen Tourismus entstanden sind. Sollen diese Projekte zukünftig nicht nur Nischen besetzen, müssen die Angebotsstärken Natur, Landschaft und Gastfreundschaft nicht nur als selbstverständlich erachtet, sondern auch strategisch umgesetzt werden.

Eine der wichtigsten Forderungen der Bergeller Gespräche stellt somit eine Aufnahme von Aspekten der nachhaltigen Entwicklung in sämtliche tourismusrelevante Aus- und Weiterbildungen dar. Die vom IITF erarbeiteten Unterrichtsmaterialien „Integrativer Tourismus“ und das Modell der „Schule des sanften Reisens“ sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Alle Akteure sprachen sich jedenfalls für eine Erhöhung des politischen Drucks aus. „Wir haben lange genug auf vernunftbetonte Einsicht gewartet, jetzt müssen wir unsere Kompetenz auf allen Entscheidungsebenen auch institutionell einbinden.“

Die Tourismuskritik hat scheinbar wieder neues Selbstvertrauen erhalten. Selbstbewußt wissen die Akteure, daß sie nicht zu bitten, sondern zu bieten haben. Man wird sehen, wie die Tourismusindustrie und die Politik damit umgehen können.