„Du kannst mich Geyer nennen“

Fußball ist Arbeit, wer rumdaddelt, verliert: Wie Mittelfeldspieler Willi Kronhardt sich den Erfolg des DFB-Pokalfinalisten Energie Cottbus erklärt  ■ Aus Cottbus Peter Unfried

Gestern mittag ist Willi Kronhardt nach Berlin gereist, um sich am Abend im Olympiastadion noch etwas zu bewegen. Um halb elf lag er im Hotelbett. Das war mal etwas Neues. Sonst saß er diese Woche zur Mittagszeit immer unter einem Cafésonnenschirm vor der Cottbuser Stadthalle und regenerierte zwischen zwei Trainingseinheiten. Warum ist Energie Cottbus gleich wieder nicht nur in die 2. Liga aufgestiegen, sondern darf heute abend (19 Uhr, ARD) gegen den VfB Stuttgart um den DFB-Pokal und einen Platz im Europacup spielen? Kronhardt muß nicht überlegen. Ein Wort genügt: „Geyer.“

Daß der Trainer damit zu tun hat, wird allenthalben behauptet. Doch was genau ist passiert, daß der Regionalligist Energie 57 Pflichtspiele hintereinander nicht verloren hat? „Individuell“, sagt Kronhardt, „sind wir nicht so stark.“ Dann folgt ein schöner Satz: „Wir spielen aus dem Körper.“ Mit dem sehr aggressiven, sehr laufaufwendigen Spiel von Energie kamen die Bundesligisten Duisburg, St. Pauli und Karlsruher SC „einfach nicht zurecht“. Hannover 96 vor ein paar Tagen am Ende auch nicht, weshalb Cottbus sich nun an deren Stelle im Profifußball versuchen darf. Kronhardt hat über das 3:1 im Rückspiel in Cottbus lange nachgedacht, den Flutlichtausfall, den Platzverweis des Kollegen Melzig und wie 96 beim Stand von 1:1 den Aufstieg noch aus der Hand gab. „Wer in so einer Situation rumdiddelt und rumdaddelt, der hat da auch nichts zu suchen. Die waren spielerisch schweinestark, aber wir wollten mit aller Macht.“ Kronhardt kann leidenschaftlich reden, aber auch kalt über das Existentielle, wenn Millionen auf dem Spiel stehen. Und daß der gewinnt, der sich nicht wegschubsen läßt, sondern den anderen wegschubst. Es hört sich an, als zitiere er. „Das ist Geyer“, sagt er, „kannst mich Geyer nennen. Willi Geyer.“

Kronhardt (28) kam vergangenen Sommer nach Cottbus. Nicht eben freiwillig. Aus Nienburg stammend, hat er schon bei Volker Finke in Havelse gelernt, daß, wer schneller und länger rennt, gewinnt. Danach war er Zweitligaspieler bei Fortuna Köln und zuletzt bei Regionalligist Eintracht Braunschweig. Ersatzspieler. Was Besseres als Cottbus hätte ihm nicht passieren können, sagt er.

Kronhardt tat immer, was er konnte. Was er kann, sagt er, ist „kämpfen und arbeiten“. Vor allem aber: rennen. „Kilometerfresser“ nennt sein Trainer ihn. Bei Energie räumt er vor der Abwehr ab. Kreativ sein braucht er nicht, „rumdaddeln“ darf er nicht und tut er nicht: Seine Fehlerquote ist extrem niedrig. Eigentlich ist er weniger Spieler im ursprünglichen Wortsinn, mehr Arbeiter. „Fußball ist Arbeit. Um spielen zu können, mußt du Kraft haben. Die holst du dir nicht aus dem Spiel, die mußt du dir erarbeiten. Da mußt du laufen, und dieses Laufen ist sehr anstrengend.“

Manche sagen, der Trainer habe seinem Team neben dem Laufen auch eine existentielle Wut beigebracht, durch die der FC Energie seine Gegner überrenne. Motto: Im vereinten Deutschland gibt es vielleicht nicht mehr genug für alle, aber immer für die, die bereit sind, sich durchzusetzen. Kronhardt sagt, Geyer habe ihm beigebracht, „so zu denken“, wie er Fußball jetzt denke. „Hungrig sein“, diese Prämisse kommt immer wieder. Aber: „Man muß es auch mitbringen.“ Kronhardt macht es nichts aus, wie und mit welcher Wortwahl und Lautstärke Geyer an ihm feilt. Geyer nennt das „Charakter“.

„Ich weiß nicht, wie er's macht“, sagt Kronhardt, „aber wenn ich vor einem Spiel aus dem Bus steige, habe ich so einen Kamm.“ Er zeigt mit den Händen in seinen aufstiegsblondierten Haaren, was für einen Kamm er dann hat.

Kronhardt sagt, es wisse keiner, was es eigentlich heiße, „unter Geyer zu trainieren“. Er ließ aber alles willig geschehen, fasziniert bemerkend, wie er selbst seine Arbeitsstelle immer besser ausfüllte. Er glaubt, daß er noch nie so gut war wie heute. Dennoch hat Kronhardt wie einige andere Spieler noch keinen Vertrag für die neue Saison. Das hängt damit zusammen, daß im vereinten Europa der Verteilungskampf noch härter geworden ist. Im Moment bieten täglich probehalber ausländische Fußballer Geyer ihre Arbeitskraft an. „Vielleicht“, schwant Kronhardt, „wartet der Verein, ob er noch einen besseren kriegt.“ Im heutigen Pokalfinale kann er sich einen neuen Vertrag besorgen – so oder so. Arbeiter Kronhardt tritt an gegen den besten Spieler der Liga – Krassimir Balakow. Was wird passieren? „Er spielt, was er kann, ich spiele, was ich kann“, sagt Kronhardt. Er wird alles tun, Balakow das zuteil werden zu lassen, was der weder leiden noch brauchen kann. Wie das Spiel laufen wird? Es dauert 90 Minuten. Vielleicht 120. Dann käme ein Elfmeterschießen. Das sagt Geyer immer. Kronhardt sagt, es sei aber halt so.

Als jene Sekunde kam, die seinen Namen deutschlandweit bekannt machte und er sein Trikot über den Kopf zog, kam allerdings darunter nicht der Schriftzug „Ede“ hervor. Kronhardt machte das 1:0 gegen den KSC, und eine zweistellige Millionenzahl am Fernseher las „Jule“. Es war eine rührende Liebeserklärung von einem Mann an eine Frau. Es war ein Moment, wie ihn die neue Frau im Spiegel-kompatible Berichterstattung über Fußball nicht besser hätte inszenieren können. Am nächsten Tag war die Jurastudentin Juliane Sturm auf der Bild-Titelseite. Heute ist sie nach Meinung der Springer-Leute die „berühmteste Fußballerfreundin Deutschlands“. Binnen 24 Stunden wurde das Paar mit „traumhaften finanziellen Angeboten“ (Kronhardt), guten und weniger guten Worten bedrängt, sein privates Glück etwa mit Schreinemakers und deren Restpublikum zu teilen. Kronhardt fand sich in einer schizophrenen Situation. Erst hatte er die Öffentlichkeit gesucht, nun machte ihm deren schamloses Interesse angst. „Es geht keinen Schwanz an, was du unter der Hose hast“, sagte er sich – und machte den Laden schleunigst wieder dicht.

Wenn Kronhardt „zu Hause“ sagt, meint er Braunschweig. Doch erstaunt hat er festgestellt, daß er Dinge jetzt „mit anderen Augen“ zu sehen begonnen hat. Als ihn ein Hannover-Spieler „Ostschwein“ nannte, war er mächtig gekränkt. Und zwar nicht, weil er Westler ist. „Mensch, wenn wir als kleiner Scheißostverein den DFB-Pokal gewinnen...“, sagt er, als erster im vereinten Land, als erster Regionalligist zudem. Es wäre kein Märchen wahrgeworden, aber eine weitere, sehr bemerkenswerte Leistung allemal.

Auch ohne Cup würde morgen (15 Uhr) auf dem Cottbuser Altmarkt gefeiert. Dort ist in diesen Tagen ein Blumenteppich zu bewundern. „Wende dein Gesicht der Sonne zu“, ist da zu lesen, mit der Pracht der Natur geschrieben, „dann fallen die Schatten hinter dich.“ In „Carstens Wunderbar“ blinzelt Willi Kronhardt direkt in den stechenden Himmelskörper.