Erbakan stolpert über Armee

■ Tansu Ciller erhofft sich als neue türkische Regierungschefin bessere Chancen im Wahlkampf. Doch ob die Koalition bis zu den Neuwahlen durchhält, ist fraglich

Istanbul (taz) – Die Drohung wirkte: Kaum hatten die türkischen Militärs angekündigt, „mit Waffengewalt“ die in der Verfassung festgeschriebene Trennung von Staat und Religion durchzusetzen, reagierte die Koalitionsregierung unter dem islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan. Am Mittwoch einigten sich die Partner darauf, daß Erbakan am Mittwoch nächster Woche zurücktritt, Außenministerin Çiller das Amt der Ministerpräsidentin übernimmt und eine „Wahlregierung“ bildet. Çiller hofft, daß der Abgang Erbakans die Generäle besänftigt und verspricht sich als Ministerpräsidentin bessere Chancen im Wahlkampf. Ob die Rechnung aufgeht, ist fraglich.

Auch wenn keine Panzer rollten, ist die türkische Regierung nach dem Memorandum des Generalstabes entmachtet. Die Koalition hat auch die parlamentarische Mehrheit verloren. Wahrscheinlich wird die Koalitionsregierung zwischen Wohlfahrtspartei und der Partei des Rechten Weges noch nicht einmal bis zu den Wahlen weiterregieren können.

Abgeordnete und Minister der Partei des Rechten Weges verweigern der Koalition mit den Islamisten die Unterstützung. Gestern gab der türkische Tourismusminister Bahattin Yücel seinen Rücktritt bekannt und richtete schwere Beschuldigungen an die Wohlfahrtspartei. Nach Meinung des Ministers bedrohe die Wohlfahrtspartei das politische System in der Türkei. „Die Demokratie benutzen diese Leute nur als Straßenbahn, um ans Ziel zu gelangen.“ Zuvor hatte Parteivorsitzende Tansu Çiller versucht, ihren Minister umzustimmen, vergeblich. Die Partei ist in einem desolaten Zustand. Auch immer mehr Abgeordnete verweigern Çiller die Gefolgschaft.

Das weitere Szenario ist offen. Nach dem Rücktritt Erbakans müßte der türkische Präsident Süleyman Demirel Çiller mit der Regierungsbildung beauftragen. Doch es herrschen Zweifel, ob Demirel diesen Schritt tun wird. Zudem benötigt die neue Regierung das parlamentarische Vertrauen. Die faschistische Einheitspartei hat sich bislang nicht festgelegt. Eine Beteiligung an der „Wahlregierung“ lehnte Parteichef Muhsin Yazicioglu gestern ab. Ganz in der Gewißheit, das Ende der Regierung herbeigeführt zu haben, gibt man sich im Generalstab gelassen. Die Videoaufnahmen des Generalstab-Briefings über die Bedrohung durch religiöse Extremisten will man unters Volk bringen. Gegen drei Bodyguards von Ministerpräsident Necmettin Erbakan hat der Militärstaatsanwalt Haftbefehl erlassen. Ömer Erzeren