„Kein Versuch mit diesen Castoren“

■ Interview mit dem Castor-Experten Professor Elmar Schlich aus Gießen

taz: In Gundremmingen wird behauptet, die neuen Groß-Castorbehälter vom Typ V/52 seien intensivst getestet und – nachdem sie baugleich mit dem Typ V/19 seien – auch bewährt. Sogar bei Abwürfen aus Flugzeugen seien die Behälter getestet worden.

Elmar Schlich: Diese Aussage beruht darauf, daß 1977 bis 1982 in Berlin umfangreiche Versuche stattgefunden haben an ganz anderen Behältern. Die unterscheiden sich von den heutigen in etwa wie ein alter Golf von 1974 und ein neuer von 1997. Der Castor V ist zur Aufnahme von mehr Brennelementen rund. Sein Vorgänger war viereckig. Meines Wissens hat es mit dem Castor V bisher keinen einzigen experimentellen Versuch gegeben.

Bei der BAM, der Bundesanstalt für Materialforschung, heißt es, rechtlich würden Rechenmodelle und Computersimulationen durchaus genügen. Der Hersteller, die GNB in Essen, sagt, in Japan sei ein Castor entwickelt und getestet worden, der nahezu identische Auslegungsmerkmale zur Castor- V-Familie aufweise. Deshalb seien erneute Tests in Deutschland nicht erforderlich.

Ich halte diese Rechenmodelle und die Übertragung der japanischen Tests, die uns gar nicht genau bekannt sind, keinesfalls für ausreichend. Ich muß doch Experimente machen, genau auf den jeweiligen Behälter bezogen, und nicht irgendwelche Rechenspiele. Wir müssen doch wissen, bleibt ein solcher Castor V im Falle eines Unfalls dicht oder nicht, und das geht nun mal nicht nur rein rechnerisch. Wenn ein schwerwiegender Störfall passiert und der Behälter wäre eben nicht dicht, ein Bruchteil des hochradioaktiven Inventars würde austreten, das wäre verheerend. Dann wäre auf lange Zeit die Unfallstelle in einem größeren Radius kontaminiert. Landwirtschaftliche Nutzflächen wären nicht mehr zu bewirtschaften, und die Bevölkerung müßte evakuiert werden.

Übertreiben Sie nicht?

Bei der Simulation eines Flugzeugabsturzes und eines mitabgestürzten alten Behälters Castors IIa hat sich gezeigt, daß die Schutzplatte und der Sekundärdeckel massiv beschädigt wurden. Die Leckrate war eine Million mal höher als zulässig. Ich sage es noch einmal: Auch zwei ganz verschiedene Autos haben Gemeinsamkeiten, vier Räder beispielsweise. Und sie sind aus Blech, haben ein Lenkrad. Aber wenn heute ein Hersteller ein neues Auto auf den Markt bringt, dann muß dieses neue Modell, unabhängig von den Testergebnissen des alten, alle Crash-Tests erneut durchlaufen. Und für Atomtransportbehälter sollen ein Computermodell und ein Rechenprogramm ausreichen.

Wieso sind Sie diesen Transportbehältern gegenüber so kritisch eingestellt? Sie waren doch selbst Chefentwickler für Atomtransportbehälter in Hanau.

Weil in der Industrie Wirtschaftlichkeit vor der Sicherheit rangiert. Ich habe im Rahmen meiner Tätigkeit in der Atomindustrie festgestellt, daß die Sicherheit eben nicht den Stellenwert hat, der immer behauptet wird. Das war für meinen Ausstieg entscheidend. Interview: Klaus Wittmann