Erbakan ist abserviert

■ Türkei: Militär hat auch ohne Putsch alles im Griff

Islamist Necmettin Erbakan hat sich verschätzt. Es ist eben schwieriger, Regierungsgeschäfte zu führen, als einen Kleinkrämerladen zu betreiben. Dabei kann Erbakan auf eine glänzende Karriere zurückblicken. Aus der marginalen islamistischen Bewegung Anfang der sechziger Jahre hat er eine effiziente politische Volkspartei geformt. In den Kommunalverwaltungen der Großstädte betrieben die islamistischen Bürgermeister ein vorsichtiges sozialdemokratisches Management und suchten nach Wegen, Arme und Ausgegrenzte partizipieren zu lassen. Der Slogan Erbakans von der „gerechten Ordnung“ versprach vor der letzten Wahl mehr soziale Gerechtigkeit, gesellschaftlichen Frieden, das Ende staatlicher Bevormundung und ein Ende der Repression. Millionen erblickten in ihm eine Hoffnung. Als Erbakan vor elf Monaten Ministerpräsident wurde, schienen sich seine kühnsten Träume zu verwirklichen.

Heute steht er vor einem Trümmerhaufen. Die Attacken der Extremisten seiner Partei auf das säkulare politische System in der Türkei haben zu einer Renaissance der Kräfte geführt, die vehement den Laizismus, die Trennung von Staat und Religion, verteidigen. Der wohl folgenschwerste Fehler Erbakans war, daß er das türkische Militär falsch eingeschätzt hat. Bei dem handelt es sich nicht um ungeschickte Putschisten, sondern um politikerfahrene Männer einer Kaste, die vor siebzig Jahren die bestehende Republik gegründet und schon drei Militärinterventionen hinter sich hat. Die postmodernen Uniformierten halten die Schalthebel der Macht besetzt und überlassen Politikern das Spiel, dessen Drehbuch sie geschrieben haben. Um ihn zu kompromittieren, ließen sie Erbakan fast ein Jahr gewähren. Jetzt, da die Zustimmung in der Bevölkerung garantiert ist, drohen die Generäle unverhohlen mit einem Putsch. Aber sie putschen nicht.

Erbakan weiß sich nicht mehr zu helfen. Weil er die Rolle als Nebendarsteller im Theater akzeptiert hat, sind ihm die Hände gebunden. Er kann nicht den Märtyrer gegen die undemokratischen Militärs spielen. Militärs titulieren den Ministerpräsidenten als Landesverräter, und Erbakan weiß keinen anderen Ausweg, als zu schweigen. Er schweigt und schweigt. Und ohne daß die Panzer rollen, ist er schon abserviert. Ömer Erzeren

Bericht Seite 8