Wochen-Post
: Freiheit und Handlungsfreiheit

■ Unser Sonntagszuschlag, unsere Schulden und unser Thälmann: Helden wie wir

„Seit dem 17. Juni 1953 wußte die SED, daß sie gegen das Volk regiert“, sagte der Historiker Armin Mitter vor einigen Jahren in der Hitze einer Diskussion. „Ein Volk, das wirklich frei sein will, ist frei“, sagt Jens Reich nach der Wende immer wieder, und er kann auf den 9. November 1989 deuten.

Doch unsere Volksvertreter wollten, daß wir weder den einen noch den anderen Volksaufstand als offiziellen Feiertag begehen, sondern den ersten Geltungstag eines Staatsvertrages, den 3. Oktober. Sehr weise sind sie nicht, aber das wußten wir ja schon; wir haben sie schließlich gewählt.

Jetzt fehlt uns was nach Pfingsten. Es fehlt der Mut, die Klarheit, das Streben nach Freiheit (und erträglichen Lohnnormen und billiger Marmelade), die die Menschen im Juni 1953 auf die Straßen trieben. Es fehlt die Erinnerung an die Furchtsamkeit, die Ohnmacht und die Resignation im Westen und an die brutale Entschlossenheit der Sowjetunion, ihren Satelliten nicht freizugeben. 1961 sagte Willy Brandt über „unsere Landsleute in der Zone“: „Sie tragen für uns alle etwas von dem, was wir eigentlich gemeinsam zu tragen hätten und was einer Art von Sühne gleichkommen könnte.“

Der 17. Juni ist eigentlich der angemessene deutsche Gedenktag. In ihm bündeln sich bürgerliche Tugenden und politische Untugenden; zwischen Jens Reich, Willy Brandt und Armin Mitter bietet er auf absehbare Zeit noch Stoff für einen Streit um Leitbilder. Die einen haben ihren Thälmann, die anderen ihren Erhard, die nächsten ihren Stauffenberg, und jeder feiert seine Gedenktage separat, und der Politik fehlt Handlungsfreiheit so sehr, daß die politische Freiheit gefährdet scheint.

Der 17. Juni ermutigt eine heilsame Übung: Daß jedes politische Lager zwingend an das erinnert wird, was nicht in sein Weltbild paßt: Die staatsgläubigen Linken an die Panzer der Roten Armee, die Neoliberalen daran, daß der Mangel an billiger Marmelade einen Staat zersetzen kann, und die ganz Schlichten aus dem Saarland daran, daß gerechter Lohn und Gier nach Freiheit zusammengehören, nicht nur gedanklich, sondern auch historisch.

Ob man das mal nach Bonn faxen sollte, wo offenbar niemand versteht, daß Arbeitgeber es ihren Arbeitnehmern bezahlen sollen, wenn diese nachts arbeiten, und nicht „der Staat“? Wer wohl der Regierung Berlins, das auf 150 Milliarden Vermögen sitzt, dabei aber die laufenden Rechnungen nicht bezahlen kann, einen Besuch im Mauermuseum sponsert?

Das Museum ist keine Staatsgründung, hat jeden Abend bis um zehn Uhr geöffnet und steht in der Friedrichstraße: das Haus am Checkpoint Charlie. Man verläßt es frohgestimmt, denn dort sieht man, was man hierzulande leicht vergißt: Es gab einmal eine Zeit, in der war das Volk so klug und mutig, daß die Regierung die Panzer ihrer Freunde gegen es richten mußte, um Ruhe zu haben, und auch die hielt nicht ewig. Mechthild Küpper

Ende