Der Kuchen ist gegessen

Das 0:2 im DFB-Pokalfinale gegen den VfB Stuttgart holt Energie Cottbus auf den Boden der Realität zurück, und die heißt 2. Bundesliga  ■ Aus Berlin Matti Lieske

Ein wenig hin und her gerissen war Eduard Geyer nach dem 0:2 im DFB-Pokalendspiel gegen den VfB Stuttgart. Mit ein bißchen mehr Glück und „etwas mehr Aggressivität“, wie es der Trainer des FC Energie Cottbus ausdrückte, hätte sein Team möglicherweise den Cup gewinnen und nächste Saison im Europapokal der Pokalsieger mitwirken können. „Mir waren sie aggressiv genug“, konterte Stuttgarts Giovane Elber ungerührt, gefehlt habe es eher an anderen Dingen. Tatsächlich war die spielerische Unterlegenheit der Lausitzer vor 76.436 Zuschauern im Berliner Olympiastadion so deutlich, daß die Noch-Amateure froh sein konnten, sich achtbar aus der Affäre gezogen zu haben. Der Sieg in der Relegation gegen Hannover 96 und der damit verbundene Aufstieg in die 2. Bundesliga hatte ohnehin schon eine Woche zuvor das Schreckenszenario beseitigt, welches dem Cottbuser Fußballklub trotz fast niederlagenfreier Saison gedroht hatte: Pokal futsch und ein weiteres Jahr in den Niederungen der Regionalliga Nordost.

Daher war Eduard Geyer nur „ein wenig traurig“ über die entgangene Krönung einer großartigen Saison. „Wenn man gegen eine so übermächtige Mannschaft gewinnen will, muß alles passen“, sagte der 52jährige. Am Samstag paßte gegen die Stuttgarter, die die Partie von Anfang bis Ende kontrollierten, eine ganze Menge nicht. Der im Gegensatz zum heimischen Stadion der Freundschaft sehr weite Platz erschwerte das gefürchtete Pressing der Cottbuser, es schneite nicht, wie Spieler Kronhardt bemängelte, die VfB-Spieler vermieden jede Art von Harakiri qua Schiedsrichtermobbing, und die Art der Bewachung des besten Bundesliga-Fußballers Krassimir Balakow mißlang auf der ganzen Linie.

Einem derart flinken und wendigen Balldompteur mit Manndeckung beizukommen, ist nahezu unmöglich. Doch der FC Energie verfügt über keine andere Taktik zur Bremsung genialer Spielmacher (wozu auch?), also wurde Willi Kronhardt mit der undankbaren Mission betraut. Der Held und Torschütze des schneebegünstigten Halbfinalsiegs gegen den Karlsruher SC wurde auf diese Weise zur tragischen Figur, obwohl er seine Sache gar nicht übel machte. Einen „Wachhund, der ihm bis in die eigene Hälfte folgte“, nannte VfB-Coach Joachim Löw den Balakow-Schatten respektvoll, am Zaubern hindern konnte Kronhardt seinen Gegner aber nicht. Entweder er foulte den Bulgaren oder der war weg.

Zweimal gelang es Kronhardt dennoch, Balakow den Ball wegzuspitzeln, beide Male mit fatalem Ausgang. Das erste Tackling führte zu jener Ecke, die Giovane Elber in der 18. Minute über – doppeltes Dilemma – den am langen Pfosten postierten Kronhardt hinweg zum 1:0 ins Tor köpfte, das zweite in der 52. Minute stellte sich als vorzüglicher Steilpaß für Elber heraus, wie ihn auch Balakow nicht besser hinbekommen hätte. Kühl lupfte der künftige Bayern-Stürmer (oder Werbetonnentreter?) das Leder über Keeper Wehner hinweg ins Netz. Der perfekte Ausstand für den in den letzten Tagen beim VfB heftig angefeindeten Elber, der zur Belohnung von seinen Mitspielern einen Rotschopf angeklatscht bekam, mit dem er fast wie Ronaldo aussah.

„Es ist keine Schande, gegen einen solchen Ausnahmespieler wie Balakow Zweikämpfe zu verlieren, in der Bundesliga vernascht er schließlich auch jeden“, sagte Willi Kronhardt nach dem Match ebenso trotzig wie richtig, die Chance, sich über eine Glanzvorstellung für höhere Aufgaben bei zahlungskräftigeren Klubs als Energie Cottbus zu empfehlen, war allerdings verpaßt. Es wird ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als das Angebot seines Vereins für die kommende Saison anzunehmen. Ähnliches gilt für Detlef Irrgang, der kurz nach der Halbzeit mit der großen Chance zum Ausgleich (Geyer: „Die Dinger macht er normalerweise rein.“) auch die auf eine glorreichere Zukunft versiebte. Trotz des Erfolges und der Euphorie, die der Höhenflug des FC Energie nicht nur in der Lausitz, sondern auch in weiten Teilen Brandenburgs und angrenzenden Gebieten auslöste, gilt selbst Cottbus als Zweitligist den Spielern keineswegs als Nonplusultra des Fußballs.

Das war auch an der feinen Brummigkeit zu erkennen, mit der Eduard Geyer seine weiteren Pläne darlegte. „Ich wüßte nicht, wo ich hingehen sollte“, verabschiedete sich der Ex-Auswahltrainer der DDR von den ihm nachgesagten hochfliegenden Ambitionen, „morgen fahre ich in Urlaub, dann ist der Kuchen gegessen.“ Geyer bleibt also in Cottbus, wo er versuchen muß, eine zweitligareife Mannschaft aufzubauen. Geld sei nach dem Pokalfinale ja in gewissem Maße vorhanden, und „wenn wir nicht nur Computer, sondern gute Spieler verpflichten, haben wir eine Chance.“ Fünf bis sieben Leute würden gebraucht, darunter ein Stürmer, „der auch mal ein Kopfballduell gewinnt“ und jemand, der spielerische Impulse einbringen kann, denn: „Kämpfen tun wir.“ Und „passen“ müssen die Neuen natürlich, was im Geyerschen Kosmos heißt: „Keine Traumtänzer und Abziehbilder.“ In Cottbus haben eben auch acht Jahre nach der Wende Arbeiter und Bauern immer noch die besten Chancen. Wenn auch nur im Fußball.

FC Energie Cottbus: Wehner – Hoßmang – Benken, Melzig – Ingo Schneider (65. Lazic), Irrgang, Kronhardt, Zöphel, Woltmann (81. Enguelle) – Konetzke, Seifert (65. Zimmerling)

Zuschauer: 76.436; Tore: 1:0 Elber (18.), 2:0 Elber (52.)

VfB Stuttgart: Wohlfarth – Haber, Verlaat, Berthold – Hagner (71. Thomas Schneider), Soldo, Balakow, Poschner, Legat – Elber (89. Schwarz), Bobic (81. Gilewicz)