Der Traum von der sauberen Energie

In Greifswald wird der Grundstein gelegt für den Fusionsreaktor Wendelstein 7-X  ■ Von Wolfgang Löhr

Eigentlich sollte es nur das Vorspiel sein für eines des größten Forschungsprojekte überhaupt. Kernfusion: die Bändigung des Sonnenfeuers. Energie im Überfluß durch die Verschmelzung von Wasserstoffatomen ist das ehrgeizige Ziel. Doch die für kommenden Donnerstag angesagte Feier in Greifswald zur Grundsteinlegung des Kernfusionsexperiments Wendelstein 7-X wird nicht so euphorisch ausfallen wie geplant. Mit der Forschungsstätte sollte die Hansestadt an der Ostsee wettbewerbstauglich gemacht werden, um bestehen zu können bei dem Konkurrenzkampf um den Standort für das Nachfolgeprojekt, den Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktor (Iter). Doch vor kurzem erst hat Forschungsminister Jürgen Rüttgers angekündigt, daß Deutschland sich nicht um den Standort bewerben werde. Finanzierungsprobleme bei den am Iter- Projekt beteiligten Staaten Japan, USA, Rußland sowie der Europäischen Union stellen mittlerweile ganz in Frage, ob die 15 Milliarden Mark teure Anlage überhaupt jemals gebaut wird.

Über Kernfusion wird schon mehr als 50 Jahre geforscht. Ziel ist es, aus der kontrollierten Verschmelzung von Atomkernen Energie zu gewinnen. Treibende Quelle ist die innere Bindungsenergie der Atome. Je fester die Kernbausteine miteinander verbunden sind, um so mehr Energie muß aufgebracht werden, um sie voneinander zu trennen. Umgekehrt wird diese Energie frei, wenn der Kern aus seinen Einzelteilen zusammenschmilzt. Die Atomkerne können jedoch nur miteinander verschmelzen, wenn sie sehr nahe zusammengebracht werden. Nur dann können die elektrischen, abstoßenden Kräfte überwunden werden. Zum Zünden des Fusionsfeuers wird daher der Brennstoff in Magnetfeldern wie in einem Käfig eingeschlossen und auf Temperaturen um 100 Millionen Grad Celsius aufgeheizt. Bei diesen Temperaturen sind die Kerne schnell genug, um die äußere elektrische Abstoßung überwinden zu können. Die Atome eines Gases sind unter diesen Bedingungen in ihre Einzelteile, Elektronen und Kerne, zerlegt. Das Gas mit einer sehr niedrigen Dichte – 250.000mal dünner als Luft – wird dann als „Plasma“ bezeichnet. Als günstigster „Brennstoff“ für Fusionsreaktoren haben sich die beiden Wasserstoffvarianten Deuterium und das radioaktive Tritium erwiesen. Bei der Fusion eines Deuterium- und eines Tritiumkerns entsteht ein Heliumkern. Zusätzlich wird ein Neutron freigesetzt, das rund 80 Prozent der Energie trägt, die dann zur Plasmaheizung und Stromgewinnung genutzt werden kann.

Noch sind die Forscher weit davon entfernt, mit ihren Anlagen kontinuierlich Energie zu gewinnen. Im bisher erfolgreichsten Fusionsexperiment, dem Joint European Torus (JET) im britischen Culham, konnte das Plasmafeuer nur für zwei Sekunden aufrechterhalten werden, für ein kontinuierliches Brennen reichte diese Zeit nicht aus. Auch der gemeinsam von der Europäischen Union, den USA, Rußland und Japan auf dem Papier geplante und noch nicht ganz aufgegebene Iter ist als Experimentieranlage gedacht, eine Energiegewinnung wird damit nicht möglich sein. Das soll erst – wenn überhaupt – bei einer für Mitte des nächsten Jahrhunderts in Aussicht gestellten Demonstrationsanlage möglich sein.

Während die Fusionsexperimente in den USA, Rußland und Japan nach dem ursprünglich in der Sowjetunion entwickelten Tokamak-Typ aufgebaut sind, arbeiten die Wissenschaftler am Max- Planck-Institut für Plasmaforschung (IPP) in Garching als einzige an einem Stellarator. Der Tokamak ist nur für einen kurzzeitigen Pulsbetrieb ausgelegt, mit dem Stellarator hingegen soll durch eine gänzlich andere Anordnung der Magnete ein kontinuierlicher Dauerbetrieb möglich werden.

Nach diesem Prinzip wird in der Greifswalder Außenstelle des IPP jetzt für rund 500 Millionen Mark Wendelstein 7-X errichtet. Gut die Hälfte der Finanzmittel schießt die EU zu, 200 Millionen Mark das Forschungsministerium und 30 Millionen das Land Mecklenburg-Vorpommern. Weitere 100 Millionen Mark wird zudem die Infrastruktur kosten.

Die teure Anlage weckt Kritik. „Mit diesem Geld entstehen nur wenige neue Arbeitsplätze“, meint Rosmarie Poldrack von der Bürgerinitiative Kernenergie in Greifswald. Die meisten Jobs würden ohnehin aus Garching besetzt.

Kritik kommt auch von Bündnis 90/Die Grünen. Die Bundestagsfraktion der Grünen hatte gefordert, für die Fusionsforschung keine Gelder mehr bereitzustellen. Heute schon gingen 25 Prozent der Forschungsmittel für neue Energiequellen in die Kernfusion. „Alle anderen Bereiche der Energieforschung mußten gekürzt werden, um die steigenden Kosten für die Fusion aufzufangen“, heißt es in dem Antrag. „Für neue Projekte bei den regenerativen Energien ist jetzt schon kein Geld mehr da“, klagt Susanne Osche, Mitarbeiterin bei der Bundestagsfraktion der Grünen.

Das Argument, daß die Kernfusion die Lösung für das Treibhausproblem sei, da bei der Energiegewinnung kein Kohlendioxid freigesetzt werde, ist für die Kritiker der Fusionstechnologie nicht stichhaltig. „Wenn wir so lange warten, bis der erste funktionstüchtige Reaktor steht, ist es längst zu spät“, meint der Atomexperte beim Ökoinstitut Darmstadt, Roland Bähr. Auch die Enquetekommission „Schutz der Erdatmosphäre“ des Bundestages hatte in ihrem Bericht schon festgestellt, daß die Kernfusion das Treibhausproblem nicht lösen könne. Zudem, so Bähr, „fallen auch bei der Kernfusion radioaktive Abfälle an“. Es blieben zwar keine abgebrannten Brennstäbe übrig, aber durch die Neutronenstrahlung würden die Wände des Torus radioaktiv verseucht. Durch die Strahlung und die hohen Temperaturen komme es zu einer Ermüdung des Materials. „Etwa alle fünf Jahre müßten die strahlenden Wände ausgetauscht werden“, berichtet der Atomexperte, „im Endeffekt ist die Menge des Abfalls genauso groß wie bei einem Spaltreaktor.“