Kämpfe unter den Roten Khmer

Nach der Flucht von Pol Pot aus seinem Hauptquartier wird in Kambodscha über die Hintergründe spekuliert. Die beiden zerstrittenen Regierungschefs machen damit Politik  ■ Aus Bangkok Jutta Lietsch

Triumphierend hielt der kambodschanische Offizier stark vergrößerte Fotos blutiger Leichen in die Höhe: Diese Bilder bewiesen, sagte General Nhiek Bun Chhay in Phnom Penh vor Journalisten, daß der berüchtigte Führer der Roten Khmer, Pol Pot, seine engen Vertrauten umgebracht habe und nun vor dem Ende stehe.

Am Sonntag berichtete das kambodschanische Militär, Pol Pot befinde sich nach seiner Flucht aus dem Hauptquartier in Anlong Veng mit zweihundert Anhängern etwa zwanzig Kilometer von der thailändischen Grenze entfernt. Etwa tausend Kämpfer der Gegenfraktion hielten ihn umzingelt. Ihr Anführer sei Ta Mok, der als „Schlächter“ bekannte Sicherheitschef Pol Pots. Regierungstruppen hätten Schußwechsel gehört.

Doch was in den letzten Tagen im letzten Stützpunkt der Roten Khmer nahe der Grenze zu Thailand wirklich geschah, ist immer noch unklar. Lebt Pol Pot? Ist er zu krank, um noch laufen zu können? Wie konnte er dann die ehemaligen Minister Son Sen und Yun Yat ermorden? Schleppt er seinen offiziellen Nachfolger Khieu Samphan und andere Vertraute wirklich als „Geiseln“ mit? Gab es geheime Verhandlungen mit der Regierung?

Das Gebiet im Dschungel ist unzugänglich. Die Lage wird noch verworrener durch die widersprüchliche Informationspolitik der kambodschanischen Regierung: Der zweite Premierminister Hun Sen erklärte am Wochenende, die Armee werde vorerst nicht eingreifen. Sie werde vielmehr abwarten, daß sich die Roten Khmer, unter deren Herrschaft im Kambodscha der siebziger Jahre über eine Million Menschen starben, selbst zerstören: „Wir sitzen auf dem Berg und schauen zu, wie sich Tiger und Löwe bekämpfen“, sagte der Regierungschef. „Sie sollen sich erst schwächen, damit wir sie fangen können. Dann können wir darüber nachdenken, was weiter geschieht.“

Ganz anders klang es aus dem Lager des ersten Premierministers, Prinz Norodom Ranariddh, der sich das Amt mit Hun Sen teilt. Sein Parteifreund General Nhiek Bun Chhay wollte die abtrünnigen Roten Khmer sogar mit Waffen versorgen, damit sie Pol Pots Truppe besiegen können. Die unterschiedliche Haltung der beiden Regierungschefs hat einen einfachen Grund: In ihren Augen sind die Roten Khmer weniger eine Truppe von Verbrechern, die für ihre mörderische Politik zur Verantwortung gezogen werden muß, sondern vielmehr – mögliche Koalitionspartner.

Hun Sen und Ranariddh, in kaltem Haß verbunden, haben gegenwärtig nur ein Ziel vor Augen: die nächsten Wahlen im Jahr 1998. In den vergangenen Monaten haben beide versucht, ehemalige Rote Khmer auf ihre Seite zu ziehen. Überläufer der Guerillatruppe sahen sich mit Straffreiheit, Posten und Ehren belohnt – und lernten dann schnell, die beiden Regierungschefs gegeneinander auszuspielen.

Besonders die Funcinpec-Partei von Prinz Ranariddh machte den Roten Khmer Avancen. Viele von ihren Funktionären haben gute Bekannte unter den Leuten Pol Pots noch aus den achtziger Jahren: Damals kämpften sie gemeinsam gegen die Regierung des von Vietnam eingesetzten Premiers Hun Sen.

Seitdem der ehemalige Außenminister der Roten Khmer, Ieng Sary, im vergangenen August die Seite wechselte und dafür mit einer Amnestie belohnt wurde, schien der Weg frei auch für andere hochrangige Funktionäre, die noch zu Pol Pot hielten. Mitte Mai hatte der nominelle Chef der Roten Khmer, Khieu Samphan, der Funcinpec noch eine Allianz angeboten – und Ranariddh hatte dies begrüßt.

Funcinpec-General Nhiek Bun Chhay, der am Samstag die Fotos der getöteten Roten Khmer zeigte, konnte noch mehr berichten: Er sei in der vergangenen Woche als Abgesandter von Prinz Ranariddh zu Pol Pot gereist. Man habe mit Pol Pot über ein Geschäft verhandelt: Die drei berüchtigsten Mitglieder der Organisation, „Bruder Nr.1“ Pol Pot, Ex-Verteidigungsminister Son Sen und der „Schlächter“ Ta Mok würden ins Exil gehen. In welches Land, sagte er nicht. Alle anderen, darunter auch Khieu Samphan, der ehemalige Präsident und offizielle Nachfolger Pol Pots, würden zur Regierung überlaufen – und straffrei bleiben. In der letzten Minute habe Pol Pot sich aber geweigert. Er habe Son Sen und dessen Familie umgebracht und die anderen als Geiseln genommen, als er von einem Teil seiner Anhänger bedroht wurde, die für Verhandlungen waren.

Ob diese Geschichte so stimmt, wird in Phnom Penh von vielen bezweifelt. Auch der thailändische Armeechef Chettha Tanajaro, der als gut informiert gilt, warnte am Sonntag davor, die Informationen der kambodschanischen Politiker zu glauben, „weil ich das Gefühl habe, daß viele Berichte politisch motiviert sind.“