Ein Hirsch im Schneeregen der Töne

■ Opernregisseur Marco Arturo Marelli treibt es in „Falstaff“bis zur Rollenverblödung

Das ist es wohl, was man sich unter einer flotten bürgerlichen Inszenierung vorzustellen hat. Deutungslose Maßarbeit, rhythmisch, farblich und fratzenhaft wohl abgewogen, garniert aus dem Fundus leichter, gern auch leicht anzüglicher Scherze, für die es wegen ihres aussterbenden Geistesgehaltes am deutschen Opernboden scheinbar Artenschutz gibt. Als Vorrat für die Überwinterungen der energischen Lächerlichkeit im Schneeregen der Töne brauchte es natürlich einer guten Komödie, der der Dramaturg im Programmheft alle möglichen Schwerinhalte anhängen kann, von denen man auf der Bühne nichts wiederfindet.

Falstaff, nach Shakespeare von Verdi, der sich sehr lange dagegen gewehrt hat, überhaupt der Nachfrage nach gesalbter Albernheit mit Kompositionen nachzukommen, ist ein williges Opfer für solche Scherenschläge. Der Dramaturg von links prügelt die psychologischen und sexuellen Muster aus der Geschichte des bauernschlauen Gargantua gegen den Dutzendmensch in Windsor, und der Regisseur antwortet von rechts mit der Rollenverblödung des singenden Personals. Hurra, wir sind mitten im Opernbetrieb, wo der Ernst nur als Kunst anerkannt wird, wenn er so richtig akademisch daherkommt, und der Spaß nur richtig stereotyp überhaupt als solcher wahrgenommen werden kann.

Da wird Falstaff (Alan Titus) dann zum gutmenschelnden Pantoffelheld, zum verbalerotischen Don Quichotte unter der Tagesdecke, dessen Kalkül zur Erringung von Lust und Geld zur eitlen Geilheit vertölpelt wird. Da sind die lustigen Weiber von Windsor nur noch das derbe Insektizid gegen die Schwärme der Wollust, die von Falstaff ausgehen, und dienen der Geschichte in der fröhlichen Unterwerfung unter das Eifersuchts-Patriachat ihrer Ehegatten. Und da wird überhaupt alles weidlich ausinszeniert, was der scheinbaren Dummheit oder der banalen Liebe entspringt und was man am besten auf die lustigen und rhythmischen Stellen der Musik mit fröhlichen Minichoreografien und platten Gags packt.

Marco Arturo Marelli hat mit dieser Arbeit dem Operngespann Gerd Albrecht/Peter Ruzicka einen erfolgreichen Schlußpunkt gesetzt, denn das Hamburger Publikum liebt es augenscheinlich, wenn ein fetter Falstaff mit einem Hirschgeweih aussieht wie aus einem Werner-Comic entsprungen und sich sinnlos auf einer nächtlichen Ku-Klux-Klan-Taschenlampen-Partie herumtreibt. Oder wenn ein fetter Bardolfo im rosa Strampelanzug und mit Punkfrisur dem Klischee aller Ekelhaftigkeit, Dr. Cajus, den Stinkefinger zeigt, dann schmunzelt das Parkett zufrieden über soviel freches Neuertum.

Statt beispielsweise den interessanten Konflikt zwischen Dionysos (Falstaff) und den Erynnien (Die lustigen Weiber) herauszuarbeiten, zieht es Marelli vor, den Hauptdarsteller in Karnevalskostüm und Papageiengang über die Bühne watscheln zu lassen und seine Gegnerinnen als nach Treue hechelnde Brokatschranzen darzustellen. Daß aber die permanente Übertreibung auch in der Komödie eine Not und keine Tugend ist, das verirrt sich leider nicht in den Kopf eines Regisseurs, der lieber eine Darstellerin mit dem Po wackeln läßt, damit das Publikum was zu Gröhlen hat. So bleibt Oper ein totes Geschäft für tote Finanzprofis und ganz unlustige Witwen, die platte Sexismen für zeitgenössische Unterhaltung halten.

Gerd Albrecht verabschiedete sich am Dirigentenpult mit einer sauberen Leistung um seinen Lieblingsfehler herumgearbeitet. Der scheidende Generalmusikdirektor hat bei gefühlsgeladener Musik immer das Problem, daß er zwischen temperamentlos und überhitzt zu wenig Nuancen findet.

Schön, daß jetzt eine neue Ära beginnt - so sie beginnt.

Kees Wartburg