Die doppelte Lust mit geteilten Laster

■ Der Hamburger Regisseur Gabor Altorjay über seinen neuen Film „Punta Grande“

In seinem neuen Film Punta Grande entwirft der in Ungarn geborene Hamburger Regisseur Gabor Altorjay eine psychologische Antiwelt, zum alltäglichen Triebstau. Das deutsche Ehepaar Fred und Lilian sowie ihre Tochter gehen in der argentinischen Steppe in wundersamer Schizophrenie der Befriedigung ihrer Wünsche nach. Eine Entladung, die bald auch von der zivilisierten Hälfte als notwendige Eruption sehr geschätzt wird.

taz: „Punta Grande“ist dein dritter Kinofilm. Zwischen ihm und „Pankow 95“liegen 13 Jahre. Kannst du etwas über die Beziehung zu deinen früheren Arbeiten sagen?

Gabor Altorojay: Tscherwonez und Pankow 95 wurden in Ungarn als politische Filme gesehen, was die Reaktionen auf Punta Grande interessant macht: „Wo ist da die Politik?“, haben sie gefragt. Ich sage: Seit –89 gibt es keine Politik mehr, sondern eine Art Sado-Masochismus. Seit –89 ist es so, daß das Volk kniet, die Herrscher die Peitsche knallen, und sich die Unterdrückten für jeden Schlag bedanken.

Würdest du sagen, daß „Punta Grande“von einer deutschen Familie handelt, die im Urlaub ihre sexuellen Wünsche entdeckt und sich schließlich bei der Heimfahrt selbst zurückläßt.

Ja, alle drei verdoppeln sich. Die Familie fährt zurück, und ihre Doppelgänger bleiben da.

Liebe funktioniert hier nur dann, wenn man alle Teile der eigenen Persönlichkeit lebt. Muß man also vier werden, um zwei sein zu können?

Liebe ist ein unerreichbares Ideal. Aber meine Figuren kommen ihm näher, indem sie ihren unkontrollierbaren Neigungen nachgehen. In jedem Menschen existieren mehrere Figuren. Es geht um die Entscheidung zwischen ihnen.

Alle deine Filme befinden sich immer auch in einer Auseinandersetzung mit Deutschland.

Von dem Augenblick an, an dem ich das Land betreten habe, war ich fasziniert und zugleich in einer Art Kampf mit ihm.

In dieser Hinsicht ist „Punta Grande“eine Konsequenz der Wiedervereinigung in puncto Reisefreiheit: Die Deutschen verreisen und treffen im Ausland wieder auf Deutsche.

Die Deutschen im argentinischen Hotel „Punta Grande“, sind für mich ein Konzentrat der Deutschen, die ich im Ausland kennengelernt habe, die, sobald sie ihr gewohntes Umfeld verlassen, zu Freaks werden. Ich glaube, die Deutschen gehen ins Ausland, um sich von der Maske des Deutschsseins zu befreien.

Der Überwachungsstaat, der in deinen anderen Filmen eine so wichtige Rolle spielte - wo ist der geblieben?

Hier übernehmen die Urlauber die Überwachung selbst. Jeder beobachtet den anderen. Der Überwachungsstaat ist verinnerlicht, und so macht sich eine Art von Perversion breit.

Auffällig ist dabei der ruhige, manchmal stockende Rhythmus, mit dem sich alles entwickelt.

Es ist mir sehr wichtig, daß meine Filme stilistisch nicht so glatt und ohne weiteres konsumierbar sind, sondern es stattdessen eine gewisse Rauheit und Verzögerung gibt. Ich bin kein Illusionist. Ich will dem Publikum die Freiheit lassen, mit den Kinobildern zu spielen. In Bezug auf Tscherwonez hat das jemand mal „die Sabotage der eigenen Dramaturgie“genannt.

Bedeutet das nicht eine permanente Distanz zum Publikum?

Nein. Denn es gibt in Punta Grande immer wieder Szenen, die dich in dem Film halten, bei denen du einem Ereignis beiwohnst.

Das Publikum soll sich trotzdem ihres Kinoerlebnisses bewußt werden?

Ja. Es geht darum, die Freiheit, den Kopf und den eigenen Verstand zu behalten und trotzdem Gefühle zu spüren.

Fragen: Jan Distelmeyer

Premiere, heute, 20 Uhr, Abaton