„Ich bin in der Fremde zu Hause“

■ Er ist Arzt, Psychoanalytiker, Musiker, Schriftsteller und Vortragsredner: Ein Gespräch mit dem 1936 in die Niederlande geflohenen Hans Keilson / Am Mittwoch Vortrag im Bremer Domkapitelsaal

Das schmale Buch war in einer der Vitrinen der Bremerhavener Querido-Ausstellung so versteckt, daß er längere Zeit danach suchen mußte. Seine Erzählung „Komödie in Moll“über das Leben im Untergrund erschien 1947 im deutschsprachigen Exil-Verlag Querido in Amsterdam. Ihr Autor ist der heute 87jährige Arzt und Schriftsteller Hans Keilson, der am kommenden Mittwoch, 18. Juni, zu einer Lesung nach Bremen kommt. Am Rande des PEN-Symposiums Anfang Juni in Bremerhaven traf sich taz-Mitarbeiter Hans Happel mit Hans Keilson.

taz: Für die meisten deutschen Flüchtlinge war das Exil eine Tragödie. Sie haben eine „Komödie“darüber geschrieben. Ist die „Komödie in Moll“eine fiktive Geschichte?

Hans Keilson: Ich habe sie geschrieben, als ich in Delft untergetaucht war. Sie hat deshalb mit meinen eigenen Erfahrungen zu tun. Als Mitglied der Widerstandsgruppe „Freie Gruppe Amsterdam“habe ich sehr viel gesehen. Während dieser Zeit hörte ich die Geschichte von einem Untergetauchten, der an einer Infektionskrankheit gestorben war, und das Problem war: Wie beerdigt man diesen jüdischen Mann, den man ja offiziell nicht beerdigen kann? Aus diesem anekdotischen Erlebnis habe ich die Novelle geschrieben.

Nach dem Krieg ist sie bei Querido erschienen?

Ja, ich habe die Novelle dem Verleger Fritz Landshoff angeboten. Der war gerade damit beschäftigt, eine Reihe mit deutschen Erzählungen herauszubringen. Die Reihe wurde nicht vollendet, angeblich wegen Devisenschwierigkeiten. Landshoff hat mir einmal beiläufig gesagt, was der Grund war: Die West-Alliierten fürchteten, kummunistische Lektüre würde nach Deutschland eingeschleust.

Dabei sind Ihre Bücher auf andere Weise provozierend. „Der Tod eines Widersachers“zum Beispiel ist Ihnen besonders wichtig. Warum?

Als das Buch Ende der 50er Jahre erschien, haben die Leute gesagt, das ist ja furchtbar, wie kann man sowas schreiben. Ich stelle die These auf, daß es eine Beziehung gibt, ein sehr starkes Band zwischen Verfolgern und Verfolgten. Ich habe darin gezeigt, daß der Verfolger in dem anderen sich selbst verfolgt. Daß der Mord an dem anderen auch ein Selbstmord ist, das haben wir ja gesehen in Deutschland.

Sie haben Erinnerungen an die Zeit vor 1933. Als Jugendlicher sind Sie nach Berlin gegangen – was bedeutete diese Stadt damals für Sie?

Das klingt wieder anekdotisch. Ich war vorher ein einziges Mal in Berlin gewesen – im Deutschen Theater sah ich Schillers „Maria Stuart“und war schwer enttäuscht, daß keine Pferde auf die Bühne kamen. Da war ich elf. Berlin war eine faszinierende und gefährliche Stadt, eine Stadt voll Sex und Theater. Ich kam als junger Mann am Stettiner Bahnhof an, eine Gegend, in der die Prostituierten und Luden herumliefen – für einen Provinzler wie mich war das enorm provozierend.

Würden Sie sagen, daß Sie in den Niederlanden eine neue Heimat gefunden haben?

Ja, ich bin in der Fremde zu Hause. Dort, wo man seine Arbeit findet, wo man eine Aufgabe hat, ist man zu Hause.

Ihre Hauptaufgabe ist Ihre Arbeit an der Untersuchung zum Schicksal der jüdischen Kriegswaisen...

Es hat sich herausgestellt, daß das Trauma für diese Kinder nach 1945 nicht aufhört, sondern sich fortsetzt. Je nachdem, wie die Kinder aufgefangen wurden, war die Nachkriegsperiode von entscheidendem Einfluß auf die Weiterentwicklung der Kinder als Erwachsene. Mit dieser Untersuchtung wird heute in Afrika gearbeitet und auch in Südamerika. Ab Ende Juni ziehe ich gemeinsam mit einem Psychologen aus Mozambique und mit einem Kinderarzt aus Hamburg durch mehrere deutsche Städte, um über die Resozialisierung der Kindersoldaten zu sprechen.

Wenn Sie heute von außen nach Deutschland sehen, was haben Sie dann für einen Eindruck?

Ich schaue nicht nach Deutschland, ich schaue nach meinen Freunden und Kollegen, die ich da habe. Deutschland ist ein demokratischer Staat, ein Rechtsstaat, das steht nicht in Frage.

Wie würden Sie sich selbst charakterisieren?

Ich habe Glück, so lange zu leben. Und solange ich neugierig bin, lebe ich gerne.

Fragen: Hans Happel

Unter dem Titel „Die Faszination des Hasses“spricht Hans Keilson morgen, 18. Juni, über das Verhältnis von Juden und Christen in Deutschland. Die Veranstaltung findet in der Reihe „bremer beiträge“im Domkapitelsaal, Domsheide 8, statt und beginnt um 20 Uhr